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Velázquez

Einer der ganz Großen der Malerei wird an adäquatem Ort gezeigt: Velázquez im Wiener kunsthistorischen Museum. Ich habe die Schau noch nicht gesehen. Deswegen ein paar Überlegungen generell zum Aushängeschild des Siglo d'Oro, des goldenen Zeitalters Spaniens, das bedeutender war als Gouden Euuw der Holländer und Grand Siècle der Franzosen. Was macht die Kunst aus dieses Diego Rodríguez de Silva y Velázquez, der von 1599 bis 1660 lebte? Nehmen wir ein Bild des Prado, ein extremes Querformat, ein Spätwerk von 1659, das Merkur und Argus zeigt. Diego Velazquez, Merkur und Argus, Madrid, Museo del Prado Erzählt wird eine Geschichte aus der langen Reihe der Liebschaften des Jupiter. Io ist diesmal die Herausgesuchte, erwischt werden der Götter-“Vater“ und seine „Geliebte“ wie üblich von Juno, und Jupiter verwandelt die Affäre diesmal in eine Kuh, um sie der Rache seiner Alten zu entziehen – statt von Mythologie könnte man überhaupt auch von griechischer Misogynie reden. Juno jedenfalls fordert die Kuh als Geschenk und lässt das Gut von Argus, dem mit den hundert Augen, bewachen. Jupiter wiederum schickt Merkur, um die Angebetete zurück zu holen, der schläfert Argus ein und köpft den Hilflosen mit dem „Sichelschwert“. Zum Dank wandern die Augen des Argus in den Schwanz eines Pfaus hinauf, der zum Symboltier der Juno wird. Io schließlich bekommt ihre Gestalt wieder, geht nach Ägypten und lebt weiter als Gottheit Isis. Soweit der Mythos, und den schildert Velázquez. Tut er das wirklich? Seltsam reduziert ist das gelinde Drama dieser klassischen Sex and Crime-P­artie, alles, was teil hat an der Geschichte, kriecht am Boden herum, schläfrig, somnambul, jedenfalls verstohlen. Svetlana Alpers, die dem Bild einen schönen Aufsatz gewidmet hat, meint Merkur als „Viehdieb“ zu erkennen, „der sich gerade mit einem wertvollen Stück davon machen will“. Der Täter und sein Opfer begegnen sich ziemlich auf Augenhöhe, und die liegt bestenfalls oberhalb der Grasnarbe. Ganz anders Peter Paul Rubens etwa ein Vierteljahrhundert früher: Der macht eine barocke Haupt- und Staatsaktion daraus, drastisch geht es zu, der Mord ist unverhohlen, und auch das Tier scheint voller Ahnung, was ihm blühen wird. Peter Paul Rubens, Merkur und Argus Rubens liefert den Paradefall einer Karriere, die man als Künstler machen kann. Als Lieferant von Bildern für die Höfe Europas eignete er sich perfekt als Lieferant auch diplomatischer Botschaften, er wurde zum Strippenzieher für die Geheimnistuereien der Kabinettspolitik. Und er wurde geadelt. Rubens' Kunst lebte vom Krieg, von dessen Vermeidung und von dessen Akzeptanz als letzte Räson, und genau das sieht man seinen Bildern an. Gewalt hat breiten Raum in seinem Werk, denn sie hat ihm auch den Weg in die Erste Gesellschaft gebahnt. Velázquez wäre zu gern wie Rubens gewesen, vor allem wollte er werden, was der Kollege und Vorgänger war, geadelt, aufgestiegen in höchste Kreise. Das ist ihm gründlich misslungen, und als er seinen Merkus samt Argus auf die Leinwand brachte, war ihm das auch bewusst. Er wurde Ritter des Santiago-Ordens, er durfte dessen Wappen nachträglich seiner Brust applizieren, wie er sie auf seiner Selbstdarstellung in den „Meninas“ zeigt, doch das war es dann. Velázquez blieb Höfling, und die haben höflich zu sein, courteois, friedfertig und ein wenig kastriert in ihrer Ambition. Wie das Gemälde. Höflinge dürfen auch diffizil sein, und auch das trägt Velázquez in seine Bilder. Träger der Komplexität ist das Prinzip Wettbewerb, der Paragone, das Herzstück künstlerischer Identität, getragen von Wettbewerb, Rivalität, Neid. Also malt Velázquez ganz dezidiert einen Anti-Rubens. Die radikale Alternative greift zudem die beiden anderen Dimensionen auf, in denen der Paragone wirksam wird, der Wettbewerb mit der Plastik und derjenige mit der Antike. Sterbender Gallier, Rom Kapitolinische Museen Entsprechend sind sowohl in die Gestaltung des Merkur als auch in diejenige des Argus Züge hineinrangiert, die vom sogenannten „sterbenden Gallier“ stammen, einer Skulptur des Hellenismus, die gerade ausgegraben und als Sensation gehandelt worden war. Der Gallier liefert in Personalunion Elemente für beide Gestalten des Velázquez. Die Malerei meistert die Ansichten simultan, sie lädt mit Lebendigkeit auf, und sie schafft Aktualität gegenüber der Zeitlosigkeit des Steinernen. Velázquez bezieht sich auf einen Sterbenden, das Paradigma eines Opfers. Dass er damit auch irgendwie sich selbst meint, liegt auf der Hand. Velázquez ist so gesehen eine der Galionsfiguren des Viktimismus. Ein Modell für die Gegenwart. Dass er diese Modellhaftigkeit auch noch mit Meisterschaft anreicherte, wäre ein Unterschied zu heute.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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