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Band of Brothers

Selbst- und Ortserkenntnis in Museen Haben Sie sich schon mal gefragt, wer Sie sind? Eine solche Frage stimmt nachdenklich. Manche, wie Hannah Arendt meinen, wir können nicht fragen, wer wir sind, nur wo wir sind. Die Philosophin meint den uns eigenen Standpunkt, unsere moralischen Verortungen und Sozialisierungen, die uns vertraut sind. Museen, eigentlich dafür erfunden, moralische Kultur in ästhetischen Niederlassungen zu verdichten, scheinen dafür nicht mehr der rechte Ort zu sein. Sie sind Unternehmen ähnlich geworden. Das ist kaum zu übersehen. Museen zielen auf Gewinn, Aufmerksamkeit und Wertschöpfung. Und doch ist unser Verhalten in ihren Räumen nicht denen in einem Unternehmen oder Kaufhaus ähnlich. In Museen verhalten wir uns nämlich wie interesselos Kundige oder solche, die es noch werden wollen. Im Ideal schreiten wir stumm und Zur-Kenntnis-nehmend durch die Hallen. Zeitgenössische Räume in lichtem Weiß oder schickem Sichtbeton treiben die emotionale Sterilität noch weiter. Was wir dort sehen, wird im besten Fall registriert. Als ginge es um eine Unbefangenheitsübung werden Szenen lüsterner Erotik, üppige Stillleben, mystische Landschaften, hinterhältige Morde, religiöse Inbrunst, qualvolles Sterben, das ganze Repertoire der abendländischen Ikonografie mit einem Blick des fair und richterlich urteilenden Kenners quittiert. Das Toleranzverdikt der Moderne verlangt es so. Emotion soll erst frei werden, wenn wir den Shop betreten und die gelebte Gefühlsarmut an der Kasse sublimieren. Bis dahin folgt das Empfindungsverzeichnis vor den Bildern eher den Regeln des berüchtigten Beamtenmikado: Wer sich bewegt, hat verloren. Kein Wunder, dass sich die so genannten bildungsfernen Schichten kaum in die großen Häuser trauen. Nicht nur wegen der überteuerten Souvenirs. Die »institutional coolness« hat die Kunstwahrnehmung fest im Griff. Doch es geht auch anders, so erfahren kürzlich im Rijksmuseum Amsterdam: „I can’t bear busy places – I wish this room were emptier.“ Der Satz klingt wie eine sms-Nachricht aus einer Bahnhofshalle. Er steht auf einem Blatt in der Größe eines Sofatisches. Das gelbliche Papier hängt flapsig von der Wand direkt gegenüber der »Nachtwache« von Rembrandt van Rijn. Jemand spricht zu uns und fühlt mit uns: „This is a terribly poignant message: for here we are in this room, in a crowd, yet without a collective purpose. They – in the picture – are what we should be, and what, in times of honesty, we wish we could be: a band of brothers, a true team, people who will bring out the best of one another. Strange though it might sound, this picture is about loneliness, for it tells us what we are missing when we feel lonely.“ Kunst wird nicht gedeutet. Sie wird über die Gestimmtheit und das Wo des Befindens eröffnet. Einiges, was vor dem Bild Unbehagen erzeugt, wird angesprochen: Überforderung, Enge, unpersönliches Treiben, auch Einsamkeit und Sinnsuche im Gedränge. Früher galt der Vorsatz, man müsse die Besucher/innen abholen, wo sie sind. Hier werden Betrachter/innen an den Ort versetzt, an dem sie sind, um das gleiche zu erreichen. Aus ihnen wird gesprochen, um sie anzusprechen. Der kanonisierte kunsthistorische Bezugspunkt, der die Bedeutung des Bildes hervorstreicht, wird dafür aus den Angeln gehoben. Was erläuterungswert ist, sind nicht Geschichte und Bedeutung eines Gemäldes, sondern das Ich, das sich vor dem Bild einfindet und der Ort, an dem sich dieses Ich befindet. Nach dieser Lesart, die eigentlich keine ist, weil sie uns auf uns selbst zurückwirft, wird die »Nachtwache« zu einem mitreißenden, dramatischen Auftritt. Wir stehen vor einer polizeilichen Einheit beim Dienstantritt. Männer treten in die Nacht. Es sind kühne, fesche Falken, unternehmungslustige und furchtlose Recken. Tatsächlich. Wer sich von ihnen mitreißen lässt, vergisst das Bildungsgut, Rembrandts Malkunst und die Historie des holländischen Gruppenportraits. Vielmehr wird das Bild zum körperlichen Erlebnis. Die »Nachtwache« strotzt. Testosteron, Prunk, Pracht und Protz. Männliches knistert ohne Scheu im Breitwandformat. Nicht das erste Belegstück selbstbewusster Security in der Kunstgeschichte, aber sich das theatralischste. Tatsächlich lieben es die Menschen wegen seiner Unbescheidenheit. Sie werden erfasst, an diesem Ort und vom eigenen Dasein. Aus demselben Grund fotografieren sie hastig, so als wäre es nötig, einen einzigartigen Moment festzuhalten, der ohnehin seit dem 17. Jahrhundert still steht. Vom Großteil der Menge, die sich zur Selfi-Produktion hinreißen lässt, bleiben die Hierarchieverschiebungen der Beobachtung unbemerkt. Und dennoch. Wer sie registriert, nimmt sich anders wahr. Der Text auf dem gelben Blatt, der das nächtliche Treiben auf eine intime Erfahrung herunterbricht, ist Teil einer »Ausstellung«, die der englische Philosoph Alain de Botton und der Kunsthistoriker John Armstrong für das Rijksmuseum zusammenstellten. Die beiden kommentieren ausgewählte Werke der ständigen Sammlung. Fallweise stellen sie kleinere Kabinettausstellungen zusammen, etwa zum Thema des Verschwindens in der frühen Daguerrotypie, zur politischen Ikonografie in Stichwerken des 17. Jahrhunderts oder zur Erotik in japanischen Farbholzschnitten. Die Texte, die sie auf die Post-its schreiben, verstehen sich als »Lebensanleitung« (»a guide to life«). Kunst, so beklagen die beiden, sei heute in der orthodoxen Vorstellung gefangen, für sich selbst zu stehen. Und sie haben Recht. Denn was sind die Kümmernis auf einem Gemälde ohne empfundenen Kummer, die Leidenschaft des Teamgeists ohne kollektive Erregung, das Bild der Lust ohne das Begehren? Allein die beiden Denker übersehen, dass sie mit der vertieften Selbstbeobachtung zwar einen anderen Schlüssel anbieten, aber den Kommerz der Wahrnehmung, kaum bremsen werden. Sie befeuern ihn selbst.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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