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Art-Aktivismus zum Lesen und Lernen

So anno 2012 schien es, als habe aktivistische Kunst ihre Eigenschaft des „dark matter“ (Gregory Sholette), also als die einer unsichtbaren „dunklen Materie“ verloren. In der Folge vor allem von Finanzkrise Widerstand gegen die Politik von Putin sowie im Rahmen des „arabischen Frühlings“ war Aktivismus plötzlich auch für die Kunst (wieder – man denke nur an Joseph Beuys) hoffähig geworden. Gruppen wie die russischen Künstlerkollektive „Voina“ und „Pussy Riots“ sowie, um nur einige prominente zu nennen, die ägyptische Organisation „Tahrir Cinema“ und die US-amerikanische Bewegung „Occupy Museum“ waren damals in den ästhetischen Diskurs auch des Mainstreams eingedrungen. Großausstellungen wie die 7. Berlin Biennale 2012 und das im selben Jahr stattgefundene Marathon-Camp „Truth is concrete“ im Rahmen des Steirischen Herbst sind u.a. Belege dafür. Gut zwei Jahre später aber ist der künstlerische Aktivismus wieder von galerientauglicher, sogenannter „autonomer“ Kunst dorthin verbannt, wo sie nach Meinung reaktionärer „Kunst-Künstler“, Kuratoren und Kritiker auch hingehört: in Vergessenheit. Interessant ist es daher, das derzeit mindestens drei bemerkenswerte „Handbücher“ auf dem Kunstbetriebs-Markt erhältlich sind, die gleichsam Gebrauchsanweisungen für aktivistische Strategien darstellen. Nämlich:das „Guerilla Art Kit“ von Keri Smith, den von Andrew Boyd und Dave Oswald Mitchell herausgegebenen Band „Beautiful Trouble; Handbuch für eine unwiderstehliche Revolution“ und „Truth is concrete – A Handbook For Artistic Strategies In Real Politics“. Letzteres ist ein jüngst erschienenes Handbuch in Form eines englischsprachige Readers. “Truth is concrete“ stellt sich vor als die Fortsetzung des Diskussionsprogramms, das auf besagtem Steirischen Herbst stattfand. Nach einführenden Essays u. a. von Florian Malzacher und Jonas Staal, folgen in 9 Kapiteln 99 kurze Texte, in denen kurz und bündig Anleitungen zum politischen Handeln im Rahmen der Kunst gegeben werden. Im Kapitel „Selbstbestimmung“ z. B. schreibt Slavoj Žižek über das „menschliche Mikrophon“, der bekannten Strategie der Occupy-Bewegung, Texte im mehrstimmigen und basisdemokratischen Chor zu sprechen. In dem Kapitel „Agitieren“ findet sich ein Text von Yekaterina Samutsevich/Pussy Riots zu „Punk“ und deren politischen Optionen, im Kapitel „Mit dem Recht spielen“ dann einer von Justin Hoffmann zu der Strategie der „Sabotage“. Der Fokus des Buches liegt, sein Untertitel deutet es an, auf die Möglichkeit tatsächlich realpolitisch zu agieren, das Kunstfeld erscheint hier „nur“ insofern, als es Tools für dieses Agieren anbietet. Auch dieses hatte bekanntlich Walter Benjamin mit seiner bekannten Formulierung „Ästhetisierung der Politik“ aus seinem Aufsatz „Das Kunstwerk in Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ (1935/39) gemeint. Auch der Band „Beautiful Trouble“ stellt realpolitische Strategien vor, und zwar, so Naomi Klein in einer Rezension, in Form eines „Crash-Kurses auf dem sich ausbreitenden Feld der karnevalesken Realpolitik“. Dazu ist „dieser schlaue Werkzeugkasten gefüllt mit Taktiken, Grundprinzipien und Inspiration“ (Klappentext) für so etwas wie einen gewaltlosen Widerstand u.a. gegen Neoliberalismus und Globalisierung. Die Taktik des „Flash Mobs“ wird da ebenso gewürdigt wie die des Generalstreiks oder die der Besetzung. In kurzen Texten wird solch engagierte Kunst an Hand von Fallbeispielen vorgestellt, zu den bekannteren Autoren gehört etwa die Gruppe “Yes Men“. Intelligent ausgesuchte dokumentarische Fotos und vielfältige Literaturhinweise machen den Band tatsächlich zu einem lesenswerten Kompendium, der nicht zuletzt eines leistet: Der autonomen, vermeintlich ach so „freien“ Kunst wird eine Ästhetik gegenüber gestellt, die mehr will als nur formal und konzeptionell im „interesselosen Wohlgefallen“ (Immanuel Kant) zu überzeugen, die sich einmischt, konkret verändern will und die nicht vergisst, dass die Autonomie der Kunst, erstritten etwa gegen Ende des 19. Jahrhunderts, gesellschaftlich und historisch bedingt ist. Schon Peter Bürger hat in seiner „Theorie der Avantgarde“ 1972 darauf hingewiesen, dass sie eben auch eine “ideologische Kategorie“ (Bürger) ist, die „die Herauslösung der Kunst aus lebenspraktischen Bezügen“ (ebender) rechtfertigen soll. Das Ergebnis dieser Herauslösung ist heute eine meist hübsch anzuschauende Kunst, die sich konsequent weigert, herrschende Hegemonien in Frage zu stellen - und so immer mehr zum wohlfeilen Spielball stetig reicher werdender Globalisierungsgewinner geworden ist. Das „Guerilla Art Kit“ schließlich stellt art-aktivistische Techniken im Stil eines Kinderbuches vor. Einfache Texte und niedliche Zeichnungen erklären „everything you need to put your message out into the world“. Das Spektrum der erläuterten Techniken reicht vom Graffitisprayen über Postkartenaktionen bis hin zum Urban Gardening, dem illegalen Begrünen des urbanen Raumes also. Das „Guerilla Art Kit“ ist somit das spielerischste Buch der drei hier vorgestellten. Einerseits funktioniert es dadurch gleichsam als „Wolf im Schafspelz“, andererseits macht der naiv-spielerische Gestus durchaus auch Probleme: Einem (nach der Lektüre) umhäkelten Baumstamm in Berlin Mitte etwa politische Qualitäten abzugewinnen, fällt nämlich schwer. Ein wenig aggressiver und analytischer sollte der artistische Aktivismus dann schon sein. -- Truth Is Concrete A Handbook for Artistic Strategies in Real Politics steirischer herbst, Florian Malzacher (Hg.) Sternberg Press, 2014 336 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-943365-84-9 Beautiful Trouble Handbuch für eine unwiderstehliche Revolution Andrew Boyd und Dave Oswald Mitchell (Hg.) orange press, 2014 224 Seiten ISBN 978-3-936086-73-7 Das Guerillakunst-Kit Keri Smith Edition Fischer, 2013 144 Seiten ISBN 9783863551711
Mehr Texte von Raimar Stange

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