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Salotto Vienna: Wiener Gegenwart im Salon-Format

Mit bemerkenswerter Nonchalance, geradezu mit sommerlicher Leichtigkeit werden hier aktuelle Positionen aus dem kulturellen Leben Wiens vorgestellt. Kunst, Sound, Performance, Design – vorwiegend. Auch eine Präsentation des Wiener Weins gab es bisher. Irgendwelche klischeehaften Vorstellungen aber werden nicht reproduziert. Vielmehr geht es um das Zeitgenössische, um viele feinteilige Blicke in das Innenleben der Stadt. Wir befinden uns in Triest. Dass die Entfernung nicht einmal 500 km beträgt, lässt nur die außerordentlich miese Bahnverbindung vergessen. Grundidee des »Salotto Vienna« – einer Veranstaltungsreihe mit Ausstellungseinsprengseln und atmosphärische Wien-Zitaten – in der ehemaligen Fischhalle (Salone degli Incanti, Ex Pescheria) direkt am Hafen ist, die Nähe der beiden Städte zu betonen. Bis 1918 gehörte Triest als bedeutender Handelshafen zum k. u. k. Österreich. Ringstraßenarchitekten wie Heinrich von Ferstel oder Friedrich Schachner prägten den historistischen Stadtkerns mit. Im Jahr des Gedenkens an die zivilisatorische Katastrophe des Ersten Weltkriegs und deren Nachwirkungen auf das 20. Jahrhundert möchte »Salotto Vienna« nun Perspektiven entwerfen. 33 Abende, sechs Wochen lang. Lockerer Mix der Gegenwartskunst Vor allem wie es hier allabendlich gelingt, Nahaufnahmen aus der Gegenwartskunst zu bringen, lässt staunen. Zum einen handelt es sich um einen offenen, lockeren Mix, wo beispielsweise Ursula Krinzinger über Geschichte und Arbeit ihrer Galerie spricht, Künstler wie Marko Lulic oder Edgar Honetschläger ihre Konzepte erläutern, Rita Nowak ihre Fotoarbeiten vorstellt, während am nächsten Tag Erwin Wurm und Gerald Matt zu einer Conference zusammenkommen, bevor dann Andreas Fogarasi Ideen davon vermittelt, wie seine Auseinandersetzung mit der Selbstdarstellung französischer Tourismusregionen und –städte zu einer analytischen Arbeit mit deren Logos führte. Zum anderen wählte Kurator und Producer Jürgen Weishäupl das Format des Dialogs und der Live Präsentation als Alternative zum Konzept der strengen Ausstellung, die am Versuch eines korrekten Überblicks aller Wahrscheinlichkeit nach aus budgetären, zeitlichen, räumlichen und sonstigen Gründen vollends gescheitert wäre. Schließlich ging es darum, zu Handeln, und etwas Umsetzbares für diesen speziellen Ort hier direkt am Meer zu entwerfen, nachdem der Bürgermeister von Triest Roberto Cosolini und MAK Direktor Christoph Thun Hohenstein den gemeinsamen Beschluss für ein interdisziplinäres Projekt mit Fokus auf das »zeitgenössische kreative Wien« als kulturellen Brückenschlag gefasst hatten. Wie in vielen ähnlichen Fällen musste daran gearbeitet werden, noch bevor alle Rahmenbedingungen feststanden. Dass viele improvisatorische Momente im Spiel waren, lässt sich ahnen. Wien Kultur als Zitat Was als Ergebnis rauskam, dürfte ziemlich gut funktionieren. Immer mehr. In Triest spricht sich herum, wie viel an zeitgenössischer Kultur, an gegenwärtigem Denken hier gleichsam im Anschluss an den Abendspaziergang mitgenommen werden kann. Erstaunlich, das Interesse und die Aufmerksamkeit, wenn Jürgen Weishäupl selbst, italienisch moderierend, erklärend und kulturell vermittelnd durch den Abend führt und mit den persönlich anwesenden KünstlerInnen bekannt macht. Dazu Kurzfilme oder Projektionen der Werke an den Seitenflächen neben der Bühne. Im Saal: Kaffeehausatmosphäre, eine Bar, nicht nur ein paar Thonet-Stühle, Roland Rainer Sessel aus der Stadthalle, sondern auch Enzis als Zitate aus dem Museumsquartier und Einladung, sich gemütlich niederzulassen. Außerdem schaffen Kulissen mit Bildmaterial einer Fledermaus-Inszenierung und der Höhe des Saals entsprechende Jugendstil Re-Interpretationen von Klaus Pobitzer die adäquate Atmosphäre. Dass hier auch das Leopold-Museum mit einer kleinen kabinettartigen Schiele Ausstellung vertreten ist, könnte man nur allzu schnell als ein Stück Häppchen-Kultur abtun. Es handelt sich nämlich um Reproduktionen. Darunter berühmte Werke wie »Schwarzhaarige mit blauem Tuch über den Hüften« (1912) oder »Selbstbildnis mit Schnurbärtchen«, (1911). Auch eine Wienerwaldzeichnung und das »Haus mit Schindeldach« (1914). Unmöglich wäre es gewesen in einer derart offenen Durchgangssituation dem Meer so nahe, die Originale zu zeigen. Die Kopien wirken äußerst perfekt. Also warum nicht. Der Miniaturpavillon zieht durchwegs Publikum an. Wiener Wohnbau nachlässig präsentiert Das Authentische hingegen kommt aus der Gegenwart. Nicht nur in Form der hedonistischen Visuals von Thomas Draschan im nächtlichen Club mit Italo-Disco Sound. Am Wochenende um Ferragosto brachte der Salotto Vienna eine Adaption der aufwendigen Performace »OnLine« der Abteilung Digitale Kunst der Angewandten, die im Juni auch schon im Rahmen der Biennale Sessions in Venedig über die Bühne ging und Datenräume eindringlich visualisiert (künstlerische Leitung: Wolfgang Fiel & Prof. Ruth Schnell). Der zentrale Veranstaltungspunkt Freitag und Samstag. Was in den 1990ern noch als unter dem Idiom der »Befreiung« als digital culture gefeiert wurde, entpuppt sich im Zeitalter der Online-Gesellschaft als lückenlose Kontrolle. Passagiere irgendwo in einer Transitzone zogen ihre Rollkoffer in Bühnennähe, dann hautnah am den dasitzenden Zuschauern vorüber. Sie selbst hingen an der Schlinge und wurden gezogen von alles aufzeichnenden Quadcoptern. Zugleich wurden die Gesichter im Publikum abfotografiert, digital punktiert, öffentlich im Breitwandformat projiziert. Wie auf Facebook, Вконтакте, i-photo oder anderen Identifikations- und Speicherprogrammen. Den Code biometrischer Gesichtserkennung in Schrift, in Sprache transformiert las dazu – eindringlich dramatisiert – Tina Muliar. In der Symbiose von Sound und Stimme phasenweise an Diamanda Gallas erinnernd. Am ersten Abend noch etwas zu ausgewogen, dann bei der zweiten Aufführung mehr Augenmerk auf Timing und Sound: die Stimme spitz, hypnotisch stellenweise; und als eines der zentralen Elemente rausgearbeitet. Erst die nachfolgenden Club Nächte vermochten das geisterhafte Szenario wieder aufzulösen, das nichts anderes im Sinn hatte, als einen Ausschnitt jener algorithmischen Gegenwart darstellend zu visualisieren, in die wir unentwegt eingeschrieben sind. So konzise und logisch wie im Bereich der Gegenwartskunst kommt die Wien Präsentation im Salotto in Triest, dann aber doch nicht daher, was jedoch nicht dem Kurator und Producer zuzuschreiben ist. Aber in diesem Zusammenhang eine Ausstellung zum Wiener Wohnbau der Jahre 1920–2020, die sehr stark auf vermittelnden Texten aufbaut, lediglich in den Sprachen deutsch und englisch zu präsentieren, wirkt mehr als nachlässig. Ja, es passt, in eine Städtepräsentation nicht bloß klassische kulturelle Ikonen, sondern auch ein zentrales Moment der sozialistischen und sozialdemokratischen Identität Wiens zu zeigen: den öffentlichen und öffentlich finanzierten Wohnbau. Noch dazu im widersprüchlichen Norditalien, wo zahlreiche Architekten, die dem Mussolini-Faschismus sehr nahe standen, hochinteressante Bauten realisierten. Die Ausstellung zeigt nicht nur den Gemeindebau der 1920er Jahre sondern thematisiert auch die Zeit des Wideraufbaus, die 1970er und den Aufbruch in die Zweite Moderne. Man sieht, dass auch dieser durchaus frequentierte Bereich des Salotto, zahlreiche Interessierte anzieht. Aber davon auszugehen, dass hier in Triest, die meisten, die deutschen Texte lesen würden, steht im Widerspruch zur entgegenkommenden Haltung der gesamten Veranstaltungsreihe. Auch Englisch ist in Italien selbst unter AkademikerInnen nur bedingt verbreitet. Dass »Wiener Wohnen« nicht in italienische Übersetzungen der Präsentationsfolien investierte oder sich in Kooperation mit der örtlichen Kommune für deren zustande Kommen engagierte, ist nicht nachvollziehbar und wirkt herablassend gegenüber dem lokalen Publikum. Im Café, im Supermarkt wird nämlich italienisch gesprochen; und nur selten deutsch oder englisch. Tuttavia, eine gelungene Veranstaltungsreihe. Das Thema Städtepräsentation undogmatisch und gegenwartsbezogen in ein adäquates Format gebracht. Einer der zentralen Anziehungspunkte im spätsommerlichen Triest; auch empfohlen für touristische Flaneure die vielleicht gerade einen Kurzbesuch in der nördlichsten Stadt des Südens absolvieren.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Salotto Vienna
01.08 - 14.09.2014

Salone degli Incanti - Ex Pescheria
34123 Triest, Riva Nazario Sauro, 1
Email: contatto@salotto-vienna.net
http://www.salotto-vienna.net
Öffnungszeiten: Mi-So 18-01, Sa 18-04 h


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Kollektiv
Online - The Performance | 17.11.2014 02:25 | antworten
Hier sieht man die Performance der Abteilung Digitale Kunst, Universität für Angewandte Kunst, beim Salotto Vienna, 2. Aufführungstag: http://youtu.be/8QuEbhUK8YI

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