Über die Garage
Der unbewegte Beweger der kleinbürgerlichen Moderne In einer Zeit, in der von der Maut und Ausländern, die sie bezahlen sollen, die Rede ist, ist es an der Zeit, sich über Heimbefindlichkeit und unbewegte Motorik Gedanken zu machen. Die deutsche Autobahnmaut, so Verkehrsminister Dobrindt, wird – so der Plan – alle Straßen betreffen, jedoch nicht die heimischen PKW-Betreiber. Für sie reduziert sich im Gegenzug die jährliche KFZ-Steuer. Angeblich. Was deutsche Autofahrer trotz aller populistischer Beruhigung in Zukunft erdulden müssen, ist ein zusätzlicher bunter Kleber an der Windschutzscheibe. Zu den Vignetten in Österreich in schneidiger Trapezform, der abgerundeten, aber klobigen Schweizer Version und dem schicken Zahlenrad der TÜV-Plakette wird noch ein weiteres signalfarbiges Emblem hinzukommen. Ich bin gespannt, ob diverse Ideen der Fußball-Nippesindustrie in die Design-Abteilungen der Münchner CSU einfließen, wie etwa die kecken schwarz-rot-goldenen Flügel, die meine Assistentin auf ihre Schuhe geheftet trägt. Doch hier geht es nicht um geflügelte Schuhe oder politische Münchhausen-Ideen, sondern um einen kaum beachteten Aspekt der Moderne: die historische Phänomenologie der Garage. Was ist eine Garage genau, welchem Phänotypus gehört sie an? Es gibt zahlreiche Ausformungen und Varianten, jedoch nur zwei Typen: Privatgaragen und öffentliche Garagen, mehrheitsfähige und Einzelzimmerbelegung. Physiognomisch teilen sie sich in Parkhäuser, Fertigteilboxen, Unterstände, verschiedene behelfsmäßige Überdachungen und komplexe Hydraulikschachtanlagen. Alle Garagen sind dabei kernlos wie Kunsträume. Ihre Existenzberechtigung erhalten sie als aufnahmebereite Gefäße in einer Größenordnung von mindestens 6 x 3 x 3 Metern. Nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Meist sind es replizierbare Kubaturen oder stereometrische Funktionsbauten ohne Dekor, selten Rundlösungen obwohl manche Großanlagen turmartige Zubauten kennen. Die spiraligen Fahrtrassen sind das einzige belebende Element. Schneidig lassen sich mit Maximaleinschlag Kurven drehen. Garagen haben keine Fenster. Als sinistre Monaden wohnt ihnen eine Verdunkelungsgefahr inne. Garagen sind keine erkenntnisfördernden Bewusstseinsformen, keine Kapseln erhellender Einsicht, sondern Motivationsorte des Abseits. Ihre Ornamentlosigkeit macht sie zutiefst modern, ihre Abdichtung gegen die Außenwelt zutiefst misstrauenswürdig. Anders als Swimming Pools sind Garagen verborgene Freizeitanlagen im Umfeld des kleinbürgerlich Häuslichen. Ihre Bedeutung gewinnen sie vor allem als männlicher Genugtuungsraum. Aber auch der ist umstritten. Nicht erst seit der Emanzipation und der Digitalisierung. Garagen sind Gefechtsorte für Abstellungen aller Art, in denen verschiedene Familienmitglieder und Generationen ihre Ansprüche auf Stauraum geltend machen. So wollen Kleinkinder ihre Bobs, Großkinder ihre Skateboards, Jugendliche auffrisierte Mofas, Eltern ihre Hängematten, Kompostwerkzeuge, Steuererklärungen, Bier- und Werkzeugkisten dort stapeln. D.h. ihren eigentlichen Mehrwert erhält die Garage nicht als Behälter für Fahrzeuge, sondern aus ihrer Verwandtschaft mit dem anderen Verwahrungsort des Heimischem: dem Keller. Ihren primären Sinn findet die Garage deshalb nicht als Immobilie für Mobilien, sondern als Auslagerungsort für Sperrgut. Wobei in vielen Gemeinschaften die Zugriffsberechtigung wie gesagt noch immer patriarchal geregelt ist. Die Garage als Bastlerparadies führt jedoch zu Entfremdung der Garage als Fahrzeugunterkunft. Wer also Schi wachselt, Eisenmodelle fertigt, Schreckpistolen ausprobiert oder Gewächse zum Überwintern einlagert, der muss sein Fahrzeug entfernen und dorthin schicken, wo es neuerdings steuerpflichtig wird, nämlich in den Verkehr. Wer dies aber tut, wird nicht nur Dobrindt zuarbeiten, sondern auch die eigentliche Bestimmung der Garage ergründen, nämlich die des Herrschaftsanspruchs und des Abgrunds. Insofern sind Garagen doch erkenntnisfähige Monaden. Psychoanalytisch gesehen sind sie ausgelagerte Insulierungen uneingestandener Bedürfnisse. Deshalb müssen sie sich schlicht verhalten. Zumindest nach außen hin. Gefährlich wird es nur, wenn verborgene Hobbies und gehemmte Machtansprüche die Garage verlassen. Dann wird die Immanenz des Schutzraumes zu einem explosiven Faktor. Aber soweit muss es ja nicht kommen.