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Die andere Seite - Spiegel und Spiegelungen in der zeitgenössischen Kunst : Ich ist ein Anderer

Das Spiegelbild, ungebrochenes Faszinosum für die Kulturen der Menschheit: In Riten und Ritualen ist der Spiegel Brennpunkt magischer Kräfte, in den Künsten wird er seit Jahrhunderten vor allem als metaphorisches Sinnbild von Eitelkeit und Vergänglichkeit genutzt. Im 20. Jahrhundert wurde seine Materialität als vieldeutiges Medium neu entdeckt, allen voran von Michelangelo Pistoletto, als er in den 60er Jahren den Spiegel mit großer Geste als autonomes Thema in die Kunst einführte. Dem Thema Spiegel und seiner explosionsartigen Verbreitung in der zeitgenössischen Kunst ist mit einer Ausstellung kaum gerecht zu werden. Trotz selektiver Konzentration der Kuratoren Edelbert Köb und Thomas Mießgang auf Themenkreise wie Identität, Selbsterkenntnis und Selbstverlust, Vergänglichkeit und zerstörerische Selbstverschwendung erlaubt der beengende Rahmen der Orangerie des Belvedere nur eine fragmentarische Repräsentation dieser komplexen Materie. Vorwiegend den Exponaten in den Prunkräumen des Unteren Belvedere kommt angemessener Raum zu. Der Stressbeulenmann von Erwin Wurm gleicht in seiner traurigen Ästhetik einem Hofnarren, der im entsprechenden Groteskensaal auf deutlich feinsinnigere Aspekte in den folgenden spiegelnden Werken vorbereitet: Gerold Tagwerkers seidig–matt spiegelndes Display construct_unfinished aus horizontalen und vertikalen Platten in der Marmorgalerie zentriert den Raum und erweitert ihn zugleich in geschichteten Splittern. Die poetische Präsenz scheint von einer nicht fassbaren schwebenden Realität, in der man sich selbst multipliziert und sehnsuchtsvoll verliert. Pistolettos Metrocubo d’Infinito nimmt eine definitive Gegenposition dazu ein. Seine Spiegel sind mit ihren reflektierenden Seiten nach innen gekehrt zu einem Kubus montiert. Die Unendlichkeit der Spiegelungen entzieht sich der Wahrnehmung, sie bleibt das faszinierende Geheimnis des Artefakts, existiert nur rein wissentlich bzw. imaginär. Die abweisende Außenhaut wird in den historischen Spiegeln an den Wänden des Goldkabinetts wiederholt, somit die Implosion verstärkt. Im schmalen Verbindungsgang zwingt Hans Kupelwiesers sich im Kreis drehender Spiegel den Besucher zur Annäherung an sein eigenes rotierendes Spiegelbild. Der Effekt der nicht greifbaren Verortung seiner selbst übt eine eigenartig aufreibende, zugleich magnetische Wirkung aus. Die BetrachterInnen werden in der Spiegelfunktion ikonographisch vereinnahmt, als Motiv subordiniert und zum substantiellen Bildsegment gezwungen. Inwieweit dieses „Motiv“ den Gehalt daraufhin selbst bestimmt, ist die spannende Auslotung eines extrem subjektiven Spielraums, der mit der physischen Gegenwart der BetrachterInnen wieder verschwindet. Die Irritation wird in den anschließenden neuen Ausstellungsräumen der Orangerie mit dem Themenkomplex „Ich ist ein Anderer“ aufgefächert. Franz West thematisierte mit selbstironischer Souveränität narzisstische Selbstverliebtheit in seinem Selbstporträt; und er erweitert das Sujet durch die Projektion des eigenen Ich auf das Gegenüber: In der Installation Auto Sex (gemeinsam mit Heimo Zobernig) hängt eine halbtransparente spiegelnde Fläche zwischen zwei Stühlen, das Bild des Vis-à-vis wird spielerisch von der eigenen Reflexion überlagert. Ein Interieur als möbliertes Spiegelkabinett konfrontiert die BesucherInnen ununterbrochen mit sich selbst: ein spiegelndes Bett (Pistoletto), Strange Allibert (Markus Wilfling), ein Waschbeckenpaar (Elmgreen & Dragset) und Pistolettos Ikone, der Siebdruck auf Spiegel Adam und Eva. Das gedrängte Arrangement soll den Spiegel als Metapher der Selbsterkenntnis wie des Gefangenseins im Ich und die Kommunikationsunfähigkeit des narzisstischen Individuums vergegenwärtigen. In Jean Cocteaus Film Orphée wird der Spiegel zur Membran in eine transzendente Welt – als sprichwörtliche Pforte, die sich durchdringen lässt um auf die andere Seite, die der Fiktion, zu gelangen – und Der Etrusker Pistolettos schafft es bis heute nicht: Die Figur verharrt vor dem Spiegel. Vergangenheit und Gegenwart (wieder durch die BetrachterInnen selbst ins Spiel gebracht) prallen auf der Spiegelfläche aufeinander – und ab. Die Ambivalenz des Spiegelthemas wird zuletzt zugespitzt auf die Problematik von Selbstentfremdung, Identitätsverlust und abgründiger Selbstzerstörung. Der überdimensionale Totenkopf von Bruno Peinado unter den Discokugeln von John Armleder persifliert höhnisch die Todessehnsucht von Subkulturen und deren eitle Überhöhung. Die mondäne Welt im Todesreigen endet am desaströs überstilisierten Schminkspiegel Last Performance von Elmgreen & Dragset als Tatort des Suizids ¬– inhaltlich so ausweglos wie das Erscheinungsbild des Exponats, dessen schreierischer Effekt keinen interpretativen Raum lässt. Und so schließt sich denn der Kreis zum Stressbeulenmann.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Die andere Seite - Spiegel und Spiegelungen in der zeitgenössischen Kunst
18.06 - 12.10.2014

Unteres Belvedere
1030 Wien, Rennweg 6
Tel: +43 1 795 57-200, Fax: +43 1 795 57-121
Email: info@belvedere.at
http://www.belvedere.at
Öffnungszeiten: Täglich 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 10 bis 21 Uhr


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