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Die Ästhetik des Widerstands: Um die Wahrheit zu finden, muss man diskutieren*

Es ist ein Roman von Peter Weiss der dem Ausstellungsprojekt von Julia Lazarus und Moira Zoitl Titel und Thema entliehen hat, das erst in Wien (IG Bildende Kunst) und jetzt in veränderter Form in Berlin realisiert wurde. Peter Weiss untersuchte in seinem monumentalen Werk die Relevanz von Kunst im Kontext der Arbeiterbewegung und im antifaschistischen Widerstand zwischen 1937 und 1945. Als viel gelesenes und diskutiertes Werk in den 1980er Jahren, hat die Thematik neue Aktualität durch künstlerische Protestformen erhalten, die beispielsweise in Russland oder der Türkei Widerstand gegen Unterdrückung artikulieren. Über 40 künstlerische Positionen beleuchten aus zeitgenössischer Perspektive das Phänomen einer Ästhetik des Widerstands und spannen den Bogen von den Protesten gegen den Dritten Golfkrieg 2003, in Form von Schautafeln Dorothee Albrechts, bis hin zur Kritik an den prekären Arbeitsbedingungen von Wanderarbeitern in einer Aktion von Hubert Lobnig in der Wiener Innenstadt 2013. Isa Rosenberger erinnert sogar an den Marsch von international agierenden Suffragetten am 3.3.1913 in Washington, als Teil eines Projekts der Erforschung der ästhetischen Dimension der Frauenrechtsbewegung. Hier taucht die spannende Frage auf, wie Formen des Widerstands selbst einen ästhetischen Ausdruck neu begründen konnten oder können. Für diese Betrachtung erweist sich auch Yvon Chabrowskis „Afterimage“ als äußerst fruchtbar, denn sie stellt in dem ca. 17-minütigen Video Aufnahmen von Demonstrationen als Tableaux vivants nach. Ohne Kulisse und Requisiten entblößt sie die Pathosformeln in den gestischen Wechselbeziehungen von Demonstranten, Polizisten, Fotografen: dem Einzelnen und der Gruppe. Ihre Reduktion auf das bühnenmäßig platzierte Personal steht in konsequenter Entsprechung zum Relief des Pergamonaltars, der bei Peter Weiss eine prononcierte Stelle zu Beginn des Romans einnimmt. Wo der Widerstand als konkrete politische oder künstlerische Praxis, somit als Realität vorgestellt wird, die historisch nachvollzogen oder zeitgenössisch beobachtet werden kann, darf auch ihr utopischer und dystopischer Aspekt nicht völlig aus dem Sichtfeld geraten. Dafür steht einerseits die Aufnahme des Sockels der Skulptur von Karl Marx in Chemnitz, die Ralf Hoedt angefertigt hat und emblematisch ein Foto von Julia Lazarus. Während sich im Vordergrund die Baustelle der Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses ausbreitet, zeigt sich oberhalb das ehemalige Staatsratsgebäude Ost-Berlins mit dem frisch vergoldeten Balkon des translozierten Portals IV der preußischen Residenz, von dem aus Karl Liebknecht 1919 die Sozialistische Republik ausrief, deren Etablierung scheiterte. Dieses Scheitern schien aufgehoben zu sein mit der Begründung der DDR, deren Untergang 1989 wiederum die Bahn ebnete für den späteren Einzug einer privaten Hochschule für Manager am selben Ort. Vergleichbar der skulpturalen Ruine des Torso von Belvedere in den Vatikanischen Museen, dem Moira Zoitl eine intermediale Arbeit widmete, bildet das Staatsratsgebäude den widerständigen Rest einer staatspolitischen Utopie der Linken, die dem Ikonoklasmus des real existierenden Kapitalismus - letztlich durch Vereinnahmung - (noch) nicht zum Opfer fiel. Vielleicht hätte allerdings an diesem Punkt - vor allem angesichts des Orts der Ausstellung an der ehemaligen Stalinallee - ein künstlerischer Hinweis auf das Jahr 1953 die Komplexität des Themas „Widerstand“ noch vervollständigt. * Zitat von Peter Weiss
Mehr Texte von Thomas W. Kuhn

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Die Ästhetik des Widerstands
13.06 - 25.07.2014

Galerie im Turm
10243 Berlin, Frankfurter Tor 1
Tel: +49 30 422 94 26
http://www.galerie-im-turm.net
Öffnungszeiten: Di-So 12-19 h


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