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Wildwuchs - in den Straßen und an den Körpern: Zivilisatorische Gratwanderung

Wildwuchs – was für ein romantisierender Titel für eine Ausstellung. Je zivilisierter und stilisierter eine Gesellschaft (wie unsere leider) ist, desto aparter und damit attraktiver, denn vermeintlich natürlich und kaum gezügelt, ist dann der Wildwuchs, der unbändig wuchert oder es erwartungsmäßig sollte. Vitus Weh hat unter diesem Namen eine Ausstellung im Kunsthaus Muerz konzipiert und realisiert. Das Einbeziehen von jungen KollaborantInnen, wie es in diesem Fall Studierende der Kunstuniversität Linz waren, weckt vielversprechende Erwartungen. Die Wände des Kunstraums wurden mit Zitaten besprayt und dann doch wieder übermalt um aufs Neue mit anderen Wörtern beladen zu werden – bis Vitus Weh dem Tun Einhalt geboten hat – der momentane Zustand sollte für die Dauer der Ausstellung anhalten. Über diese Wände sind in manierlicher Reihe die von der Street Art Passage des Museumsquartiers Wien übernommenen MDF–Platten gehängt. Die Verwirklichung von Street Art auf angebrachten, genormten Tafeln ist an sich schon nicht wirklich authentisch, wenngleich praktisch. Die brave Art der Montage dieser Tafeln im aktuellen Wucherungskontext vielleicht denn doch problematisch. Dafür ist in der ehemaligen Sakristei (der Kunstraum Mürz befindet sich in einer säkularisierten Kirche) die Präsentation der zur Eröffnung stattgefundenen Tätowierungs–Performance geglückt. Über die möblierte „Tattoo–Kammer“ ist das Video des gefilmten Prozesses geblendet, sodass sich Ereignis und Relikt überlagern. Daneben ist die sich an diversen urbanen Schauplätzen immer weiter vermehrende Tattoo–Landschaft am Körper einer Kunststudierenden wunderbar dokumentiert. In der Mitte des Hauptraumes wird mit der Installation von Tamás Kaszás das Verbot von Werbungen in Sao Paolo thematisiert, d.h. durch die Fotografien der leerstehenden Gestänge die Ausrottung der vormals wuchernden Werbung poetisiert. Herausragende Exempel von Kunstwerken, die mit dem Phänomen „Wildwuchs“ in Verbindung stehen, werden entsprechend gewürdigt; darunter Lois Weinbergers gezüchtete Invasion von immigrierten Pflanzen auf den Geleisen des Bahnhofs der documenta X, 1997 oder Leopold Kesslers künstlerische Intervention Forchetta delle Dolomiti, einer gigantischen Nudel–Gabel in der italienischen Gebirgslandschaft. In der ehemaligen Apsis des Ausstellungsraums herrscht eine gar stringente galerienmäßige Ordnung, der Malerei von Ursula Hübner sind Werke von Lois Weinberger gegenübergestellt, inmitten liegt Weinbergers Kletten–Skulptur mit erigiertem Penis. Eigentlich hätte die Thematik wuchernder „Wildwuchs“ auch den Außenbereich des Kunsthauses infiltrieren und okkupieren sollen. Auf ein paar Parkplätzen wurden in diversen Behältern Pflanzen gesetzt. Alle essbar, Gemüse wie Tomaten und Kräuter, eine Futterwiese für Schmetterlinge wurde angesät und ein Taubenschlag errichtet. Allerdings zeigt sich der Wildwuchs in doch ziemlich präziser Pflanzordnung und zivilisierter, eigentlich „netter“ Formgebung – und außerdem einerseits vom schlechten Wetter boykottiert und andererseits von Passanten geplündert. Also wuchert es hier bislang spärlich bis gar nicht. Ja, dokumentieren lässt er sich, der Wildwuchs, und das ist Vitus Weh auch gut gelungen, nur inszenieren desselben ist eine doch ziemlich schwierige Gradwanderung.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Wildwuchs - in den Straßen und an den Körpern
26.04 - 15.06.2014

Kunsthaus Muerz
8680 Mürzzuschlag, Wiener Straße 35
Tel: +43 3852 56200, Fax: +43 3852 56209
Email: kunst@kunsthaus.muerz.at
http://www.kunsthausmuerz.at/
Öffnungszeiten: Do - Sa 10-18, So 10-16 h


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Wildwuchs
Michaela Maria Myska | 30.05.2014 12:00 | antworten
Ahoi! Durch die Straßen und Gassen Mürzzuschlags zu schlendern und in dem lichten Kunsthaus Mürz ein paar Blicke auf wildwuchs-wuchernde Streetart zu werfen, kann ich sehr empfehlen. Genussvolle Momente garantiert!

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