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Gironcoli + Kienzer: Erlebbare Heterogenität

Sich an Bruno Gironcoli zu messen ist mutig. Einer monolithischen Erscheinung wie seinem Werk gegenüberzutreten, bedarf einer ziemlich eigenständigen und nicht minder ausgeprägten Position. Eine solche dialogische Begegnung kann also nur in einer Kontradiktion erfolgreich sein. Michael Kienzer hat sich diese Herausforderung in der Galerie Elisabeth & Klaus Thoman (Innsbruck) selbst gestellt. Er selektierte aus dem zu Verfügung stehenden Repertoire Gironcolis prägnante Skulpturen und Zeichnungen und verflocht sie mit eigenen aktuellen Arbeiten zu einem mehrdeutigen Gefüge, das sich wie ein Diskurs auf mehreren Ebenen abspielt. Gironcolis oft nicht realisierte Werkzeichnungen verbildlichen undurchschaubare visionäre Welten, die sich in seinen Plastiken zu erschütternden existenziellen Statements verdichten: Ein schwebendes Baby (Aluminiumguss, 2006) ist von spitz zulaufenden Formen erfasst und durchdrungen, sein typisiertes Gesicht trägt einen merkwürdig selig entrückten Ausdruck. Die Deutung ist ambivalent, die aktivierten Formen mögen sprießende Tulpen oder verschlingende Flammen andeuten, ein Ritual der Geburt oder ein Todesurteil. In der Skulptur „Emil“ (2007) ist eine vergleichbare Symbolik und Archaik verborgen. In der auf Elementares reduzierten Form des „Kopf/Head“ (1964/65) lässt sich eine sehr persönliche, kraftvolle Reflektion auf die Pop Art ablesen, aber keine inhaltliche Erklärung. Gironcolis Formgebilde sind utopisch und doch sehr konkret, massive Skulpturen mit sorgfältiger Modellierung und Oberflächenbehandlung, die existenzialistische Narrationen vortragen. Michael Kienzer erscheint dagegen als trockener und schweigsamer Realist in der puristischen Verwendung von rohen industriellen Materialien und Produkten, die verschraubt, verspannt und geschichtet werden. Die Kontextverschiebungen in der andersartigen Anwendung bedingen ein Aufbrechen der herkömmlichen Wahrnehmungsgewohnheiten und reißen den erlebbaren Raum vieldeutig auf. Die Differenzen zwischen den Materialien und den unterschiedlichen Konstitutionen der Gestänge, Rohre, Platten, Gitter und diverser Matten zueinander können abweisenden Widerstand, nonchalante Sachlichkeit genauso wie auffordernde Attraktion oder Sinnlichkeit ausstrahlen: Eine Befindlichkeit, die sich in der kompakten „Verlegung Vol.2“ (2012) in subtilen Schichtungen und aneinander schmiegenden Faltungen empfindsam artikuliert, erscheint in der „Haltung Vol.9“ (2014) wie beiläufig abgehängt oder erzeugt in „En Passant“ (2014) als Skulptur gewordene Zeichnung ein dynamisches Spannungsverhältnis. Im zweiten Galerienraum offeriert die große „Vierung“ (2013) Handlungsspielräume als Möglichkeitsformen, die sich nicht fassen lassen. Bei Gironcoli konfrontieren utopische Phantasmen, die als geschliffene, massive Volumen unverrückbar erscheinen, als permanenter, generell gültiger Metazustand. Bei Kienzer hingegen involviert ein scheinbar lapidarer Charakter den Betrachter, ein Es–könnte–auch–anders–sein, aber momentan ist es exakt so und nicht anders. Was er mit sensibler Präzision definiert. Verrückung hieße Verletzung. Die Gegensätzlichkeiten zwischen Gironcoli und Kienzer ergänzen sich zu einer heterogenen Totalität. Zusätzlich verflechten sich im jeweiligen Werk beider Künstler Klarheit der Form und gleichzeitige Komplexität der Form zu rätselhaftem Gehalt. Deutliche Exempel sind Gironcolis Ideenskizzen von Konstruktionen, die eine Funktionalität vermuten, aber nicht erkennen lassen. Die nahe Positionierung solcher markanter Skizzen zu Kienzers „Vierung“ unterstreicht die innere Verwandtschaft. Die entschiedene Formfindung lässt einen aufreibenden Sinn anklingen, ohne ihn verfügbar zu machen. In dieser unnahbaren Sphäre begegnen oder konfrontieren sich die Werke, verzahnen sich in der Zusammenschau formal, wie in ihrer unergründbaren Aussage im Gehalt zu einer spannungsgeladenen wie anspruchsvollen Ausstellung. Wer sich auf ihre Intensitäten einlässt, kann daran gewissermaßen teilhaben – denn begreifen oder erklären lassen sie sich nicht, nur erleben.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Gironcoli + Kienzer
23.03 - 21.06.2014

Galerie Elisabeth & Klaus Thoman
6020 Innsbruck, Maria-Theresien Straße 34
Tel: +43-1-512 -57 57 85, Fax: +43-1-512 -57 57 85 13
Email: galerie@galeriethoman.com
http://www.galeriethoman.com
Öffnungszeiten: Mi-Fr 12-14 h


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