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Helga Philipp: Den Betrachtern Verantwortung geben

In den 60er Jahren zählte Helga Philipp (1939-2002) zur Avantgarde der konkreten und konstruktiven KünstlerInnen und KinetikerInnen. Heute wird sie häufig mit dem Begriff der Op Art in Verbindung gebracht, der allerdings allzu oft banalisiert als effektvolle Spielerei mit optischen Phänomenen aufgefasst wird, was für Helga Philipps Werk eine absolut unzureichende Klassifizierung wäre. Helga Philipp war Pionierin im Einsatz von damals neuartigen Materialien oder innovativen Anwendungen wie Klebefolie und Siebdruck auf Glas und Plexiglas. Wie die Galerie Hubert Winter nun in dem selektiven Querschnitt von Arbeiten der 60er und 70er Jahre präsentiert, konzentrierte sie sich auf elementare Formen wie das Quadrat, das Rechteck und den Kreis und entwickelte auf Basis der Wiederholung und Variation dieser Module eine stringente bildimmanente Gesetzlichkeit. Es waren adäquate Mittel zur Aufgabe jeder gestischen Handschrift um zu einer Objektivierung und Entindividualisierung in der Kunst zu gelangen. Paradoxerweise entstanden in der Folge signifikante Werkblöcke, in welchen Mathematik und Poesie zu der für Philipp charakteristischen, konkreten und zugleich abstrakten Symbiose miteinander verschmelzen. In der achtteiligen Zeichnungsserie (1978) entfaltet ein Linienband in variierten Knicken eine räumliche Wirkung und scheint sich horizontal über den Blätterrand hinaus zu strecken. Philipp definiert in Kompositionen wie dieser eine Rhythmik, die an Partituren erinnert. In der Zusammenschau entsteht ein Ablauf in einem Nebeneinander, der in den kastenförmigen Objekten mit einem Übereinander kombiniert ist, wo sie die Zweidimensionalität vielfach in den Raum wendet. Im „Kinetischen Objekt“ (1966-68) erzeugt sie eine Dynamik schon in dem zunehmenden perspektivischen Verzerren einzelner repetitiver Quadrate auf der Plexiglasplatte, die dann als zweite Ebene über ein dahinter liegendes Gegenbild geblendet wird. Es kommt zu einem Überlappen und Ineinandergreifen der Bewegungen. Im „Kinetischen Objekt“ (1971) multipliziert sie die Strategie mit Ringen in mehreren Schichten und einem spiegelnden Hintergrund, der außerdem die BetrachterInnen selbst in das Geschehen hineinzieht. Mit der Veränderung der Perspektive durch die Betrachter, lockert sich die strenge Tektonik der Struktur fließend in den Raum. Die einzelnen Bildelemente lösen sich in der Bewegung von ihrem präzisen geometrischen Gefüge und verselbstständigen sich – um sich zu einem neuen Zusammenhang zu verbinden. Statik und Dynamik der räumlichen Vielfalt stehen in direkter Abhängigkeit von der Rezeption. Damit ist der Betrachter zu einem steten Positionswechsel aufgefordert. Das stringente Aussparen von Inhalt und Symbolik als Potenzial, um einen gedanklichen Raum zu öffnen, berührt in seiner Gestaltlosigkeit östliche Philosophie oder John Cages „reine Musik“. Mit beidem hatte Helga Philipp sich auseinandersetzt, wie mit der damals brisanten Debatte über mathematische Informationstheorien, Kybernetik und Computerkunst. Die Aktualität in Helga Philipps Werk liegt in der Verquickung von Realität und Virtualität, in der Bestimmung der Wahrnehmung von Raum und Zeit durch die Interferenz zwischen Objekt und Betrachter. Zunächst wird das Auge irritiert, allmählich der Betrachter fasziniert, der jede marginale Bewegung seines Standorts als kleine sensuelle Sensation erlebt. Die bildliche Struktur folgt einer Logik, die simultan mit einer äquivalenten Logik der Betrachter korreliert. In der aufgerufenen Kontextverschiebung bleibt sie stets in wandernder, nicht fassbarer Schwebe, als ambivalenter Stimulus, der das fesselnde Charakteristikum in Helga Philipps Werk ist und besonders in den monochromen Arbeiten zur Geltung kommt. „Ich erwarte (vom Betrachter), dass er seinen Bezug, seine Bewegung, seine Bereitschaft, seine Wahrnehmung zu verändern, sein Zulassen von Irritation der Grundbefindlichkeit, Verantwortung übernimmt für die Qualität des Geschehens.“ (1) -- (1) Helga Philipp, zit. nach Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Mathematik der Seele. In: Helga Philipp, Katalog zur Ausstellung St. Pölten 2010, S.56.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Helga Philipp
07.03 - 03.05.2014

Galerie Hubert Winter
1070 Wien, Breite Gasse 17
Tel: +43 1 524 09 76, Fax: +43 1 524 09 76 9
Email: office@galeriewinter.at
http://www.galeriewinter.at
Öffnungszeiten: Di-Fr: 11-18h
Sa 11-14h


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