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Arte Fiera Bologna 2014: Beschleunigung in alle Richtungen

Was der Italiener nicht kennt, das kauft er nicht. Das gilt zwar mehr oder weniger an vielen Orten der Welt, doch in Bologna offensichtlich ganz besonders. Seit Jahren laboriert die Artefiera an ihrer Provinzialität, und irgendwie will es kaum besser werden. Managementfehler und mehrere Kurswechsel haben dazu beigetragen, dass die einstmals größte und älteste Kunstmesse Italiens international zur Randerscheinung geworden ist. Das spiegelt sich in der immer kleiner werdenden Riege auswärtiger Aussteller. Einer, der seit Jahren dem Standort die Treue hält, ist Rüdiger Voss aus Düsseldorf, dessen figuratives Programm dem italienischen Faible für Geschichten eigentlich entgegenkommt. Doch auch er käme ohne Anbindung an schon mal Gesehenes hier nicht aus. So profitiert er davon, dass die in großem Format unerbittlich nahsichtig auf Papier pastellierten Portraits von Till Freiwald letztes Jahr in Rovereto im Museum zu sehen waren. Das hat ihm bisher immerhin schon einige Reservierungen eingebracht. Die Stuttgarter Galerie Hollenbach kommt seit über zehn Jahren nach Bologna. Sie kennt den Markt und passt sich an. Heuer hat sie erfolgreich vor allem und klein- bis mittelformatige Skulpturen und Gemälde mitgebracht - "Die Leute haben ja gerade nicht so viel Geld." Es sei ein Trauerspiel, meint einer der wenigen italienischen Galeristen mit internationaler Reputation. "Hier gibt es vielleicht zwanzig gute Galerien. Wenn das nicht schon übertrieben ist." Das habe allerdings den Vorteil, dass die guten Sammler häufiger am eigenen Stand vorbeikämen. Die Verkäufe liefen denn auch recht gut, bestätigt Alessandro Torbandena aus Triest. Für Jordi Alcaraz gebe es großes Interesse. Das größte Werk am Stand ist auch schon an einen einheimischen Sammler verkauft. Mit 10.000 Euro war es allerdings relativ preiswert. Daher präsentiert Torbandena in der Heimat ebenso eher hochpreisige Handelsware. "Du musst wachsen; oder du stirbst", beschreibt er die Optionen, vor denen zur Zeit wohl überall die meisten Zeitgenossen-Vertreter stehen. Für vergleichsweise wenig Geld kann man bei Nino Migliori einsteigen, einem Künstler, der ursprünglich als Neorealist bekannt geworden ist. Die Galerie 2000 & Novecento aus dem benachbarten Reggio Emilia präsentiert eines der Langzeitprojekte des vielseitigen Künstlers. Bereits 1977 hat Migliora in Cellophan eingeschweißtes Obst und Gemüse als Stillleben aufgefasst und fotografiert. Der Widerwillen, den diese lebensmittelindustrielle Praxis in Italien anfänglich auslöste, findet seine Entsprechung im heutigen Boom von Bauernmärkten und Bioläden. Die unikaten Abzüge von 1977, die auf der Artefiera im Rahmen der Solo-Show "Frutta & Verdura dal 1977 di Nino Migliori" von der Galerie, die bisher an keiner anderen Messe teilnimmt, sind für lachhafte 5.500 Euro zu haben. Insgesamt gab es zwölf Motive aus dieser Serie. Von den "pezzi grossi" gibt es dieses Jahr deutlich mehr, da sich die Artefiera dem 19. Jahrhundert geöffnet hat. Giovanni Boldini überall, De Pisis und die ganze mediterrane Landschafterei in Hülle und Fülle in teilweise von jedem Feingefühl befreiten Präsentationen lassen offensichtlich den Euro rollen. Nur sprechen möchte darüber niemand; davor bewahrt die über Generationen eingeübte pathologische Diskretion des italienischen Kunsthandels. War es früher die Angst vor dem Fiskus, der mittlerweile Schwarzverkäufe erheblich erschwert, ist es heute die Angst vor Neidern unter den Kollegen, zweifelhaften Provenienzen oder möglicherweise störenden Authentizitätsdiskussionen. Zur Erweiterung des Spektrums in die Jetztzeit gehört die Foto-Abteilung, der man immerhin Kredit für die gute Absicht zugestehen muss. Im Detail fehlt dann aber doch die Qualität. Seien es bei den Klassikern von Robert Capa die posthum (wenigstens in den 1960ern) angefertigten Abzüge bei Photographica Fine Art, seien es die besseren Hobbyfotos, die an den meisten Ständen angeboten werden. Bei Romberg aus Latina (bei Rom) werden in einer Einzelpräsentation tatsächlich akkurate Strandgutaufnahmen von Giuseppe Ripa verkauft - klein schwarz/weiß um 2.750 Euro und etwas größer in Farbe um 4.400 Euro. Der Clou liegt in den Titeln; so heißt ein Haufen verwittertes Tau "Laocoon". Auf die Idee muss man erstmal kommen. Noch trister sehen die Segmente China und Osteuropa aus. Eigentlich bietet sich China an, da die Messegesellschaft auch die sh contemporary in Schanghai betreibt, die nach einem dramatischen Absturz ab 2008 wieder auf einem besseren Weg zu sein scheint. Die Galerien, die dem Ruf nach Bologna gefolgt sind, spielen allerdings ansonsten international keine Rolle. Ähnlich Osteuropa: Ironisierte Stalin-Nostalgie, gestische Malerei mit Pillemann, Glitzerkunst. Eine international anerkannte Teilnehmerin möchte ihren Namen nicht im Zusammenhang mit dieser Veranstaltung genannt wissen. Giorgio Verzotti, einer der beiden Direktoren ist sich der schwierigen Situation durchaus bewusst. Im Gespräch mit artmagazine.cc erklärt er: "Artefiera ist eine italienische Messe, aber wir wollen den Blick erweitern. Die italienischen Aussteller kommen aus Tradition hierher. Daher ist das ein wichtiger Handelsplatz für Italien. In den letzten Jahren hat die Artefiera allerdings die Konkurrenz der vielen neuen Messen weltweit gespürt. Wir wollen jedes Jahr einen neuen Fokus einrichten. Wir glauben, dass es sinnvoller ist, aktiv auf andere Märkte zu schauen, als zu warten, dass sie zu uns kommen." Allerdings ist die fehlende Internationalität nicht Verzottis einzige Baustelle. "Das 19. Jahrhundert ist etwas kontrovers dieses Jahr, weil viele sagen, dass es ein anderes Marktsegment ist. Ich will das Spektrum zusammen mit dem Publikum erweitern. Die Tefaf hat sich ja auch in Richtung Gegenwart geöffnet. Warum nicht von den Zeitgenossen den umgekehrten Weg gehen?" 19. Jahrhundert, Fotografie, China, Osteuropa, Re-Internationalisierung - die Artefiera hat sich viel vorgenommen, vielleicht zuviel. Im Moment beschleunigt sie in alle Richtungen. Eine Konzentration auf die Kernkompetenzen scheint sinnvoll. Zumindest sollte man damit beginnen, sich ohne Denkverbote auf die Suche nach ihnen zu machen.
Mehr Texte von Stefan Kobel

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Arte Fiera Bologna 2014
24 - 27.01.2014

Arte Fiera Bologna
40100 Bologna, Quartiere Fieristico di Bologna
http://www.artefiera.bolognafiere.it
Öffnungszeiten: Do-Sa 10.30-20, So 10.30-19 Uhr


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