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Lee Bul: Sedimente der Moderne

Koreanische Künstler stehen in dem Ruf, genialische Tüftler mit philosophischem Hintergrund zu sein. Lee Bul macht da keine Ausnahme. Die 1964 in Südkorea geborene Künstlerin saugt eine Vielzahl unterschiedlichster Quellen von frühen neurowissenschaftlichen Untersuchungen über sozialutopische Architekturphantasien bis zu Science Fiction-Schund auf und verwirbelt sie in ihrem künstlerischen Kosmos. Bei ihrer ersten umfassenden institutionellen Ausstellung in Europa musste sie jedoch zunächst die vor allem sich selbst zelebrierende Architektur des Mudam in Luxemburg von I.M. Pei bändigen. Das mag allenfalls mäßig gelingen, und das ist es auch. Die akribisch arbeitende Bul hat in zwei Jahren Vorbereitung und drei Wochen Aufbau die monumentale Eingangshalle mit eigens geschaffenen hügelartigen Strukturen und Schiefen Ebenen aus Holzplatten versehen. Sie gelten nicht nur als eigenes Werk mit dem Titel "Diluvium" - sie sollen vor allem dem Betrachter Aufmerksamkeit für die im Raum schwebenden "Cyborgs" abringen. Assoziationen an Caspar David Friedrichs "Eismeer" drängen sich auf; die baumelnden Skulpturen bleiben jedoch blass. Das Thema Cyborgs hat sich in der Kunst auch nie wirklich durchsetzen können. Beeindruckender sind hingegen die wie aus dem Ruder gelaufene Architekturmodelle wirkenden Skulpturen, die den Betrachter auf dem Weg hinab begleiten. Aus allerhand glitzernden Materialien hat Bul kronleuchterartige Landschaften imaginiert, in der utopische Architektenträume der westlichen Architektur-Avantgarde einsedimentiert scheinen, um als Kulisse für Mad Max oder einen anderen Endzeitfilm auf nachfolgende Generationen zu kommen. Hier lässt sich erahnen, wie die – nicht nur – in Korea im Zeitraffer nachgeholte Moderne als chaotischer Strom über die alte Kultur hinweggezogen sein muss, um seine durcheinandergewirbelten Stile, Anschauungen und Theorien als in Beton, Stahl und Glas gegossene Ablagerungen in den Städten zurückzulassen. Dass das in Skulpturen übertragene Ergebnis hübsch anzuschauen ist, dürfte nicht unwesentlich zum (Markt-) Erfolg Lee Buls beigetragen haben. Die stärksten Werke sind jedoch ihre begehbaren Großskulpturen, die im ersten Moment in der pseudowissenschaftlichen Tradtion von Carsten Höller, Olafur Eliasson oder Carsten Nicolai zu stehen scheinen. Anders als den Großkünstlern mit ihren Jahrmarkt-Attraktionen geht es Bul jedoch nicht darum, den Betrachter in kindliches Staunen zu versetzen mit physikalischen Taschenspielertricks, geschickten Illusionen und glitzernden Oberflächen. Vielmehr stellen sich bei der Erkundung der höhlenartigen Gebilde optische und akustische Irritationen ein, die so manchem den Boden unter den Füßen zu entziehen scheinen. Das liegt nicht nur an dem Spiegelboden, der den gesamten Raum durchzieht. Die Konstruktionen tragen dazu bei, die Wahrnehmung durcheinanderzubringen, so bei "Via Negativa", einem verspiegelten Labyrinth. Die klaustrophobisch engen Spiegelwände sind nicht durchgängig, sondern geben immer wieder Ausblicke frei, die das Raumgefühl irritieren und Innen und Außen kaleidoskopartig durcheinanderwürfeln. Dass im "Außenraum" andere Besucher umhergehen, deren Füße unwillkürlich im unteren Blickfeld auftauchen, macht die Sache nicht einfacher. Die Kopfhörer-Klanginstallation "Bunker" - eine Grotte mit kristallartig schwarzer Hülle - verstärkt Innen- wie Außengeräusche und vermittelt das Gefühl, gleichzeitig heimlicher Beobachter zu sein und auf dem Präsentiersteller zu stehen. Aus dem "Studio", einem Raum, der eine Ateliersituation heraufbeschwören soll, lassen sich vor allem zwei Erkenntnisse gewinnen: erstens, dass Lee Bull eine ebenso akribische wie talentierte Zeichnerin ist und zweitens, dass nicht alles, was im Atelier entsteht, dieses auch unbedingt verlassen sollte.
Mehr Texte von Stefan Kobel

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Lee Bul
05.09.2013 - 09.06.2014

Mudam Luxembourg
1499 Luxembourg, 3 Park Dräi Eechelen
Tel: +352 45 37 85 1
Email: info@mudam.lu
http://www.mudam.lu


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