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Staulager: Daniel Spoerri in Hadersdorf am Kamp

Meine letzte Causerie handelte davon, dass das Schaudepot, also eine Lager-/Archiv-Präsentation in den Ausstellungsräumen, mittlerweile zu einem gängigen Bestandteil eines modernen Museums geworden ist. Den ideologischen Grund für diesen Boom verortete ich in einer gewandelten Einstellung zu Vielfalt und „Wichtigkeit“. Tatsächlich ist dieser Wandel auch eine Erosion des kunsthistorischen Kanons.

Eine nochmals besondere Spielart dieser musealen Auffächerung hat sich in den letzten Jahren in Niederösterreich entwickelt. International renommierte Künstler haben dort, verstreut in kleineren Ortschaften und Städten, jeweils eigene Spezialmuseen, quasi individuelle Schaulager, gewidmet bekommen. So hat zum Beispiel Arnulf Rainer ein eigenes Museum in einem ehemaligen Hallenbad in Baden bei Wien (seit 2009), Hermann Nitsch eine Ausstellungshalle in Mistelbach im Weinviertel (seit 2007), Adolf Frohner ein „Forum“ in der Wachau (seit 2007) und Daniel Spoerri ein „Staulager“ in Hadersdorf am Kamp. Als Einzelmuseen durchbrechen sie die Ideologie des Kanons ohnehin gänzlich, da sie den Monotheismus „der Kunst“ (mit einem entsprechenden Kanon an Heiligen, die zum Höchsten vermitteln) durch ihren Polytheismus ersetzen. Der Wirkungs- und Zuständigkeitsbereich der in diesem System erhobenen Künstler ist zwar nur noch begrenzt, aber lokal jeweils absolut zu sehen.

Obwohl alle diese Museen und Orte eine eigene Reise wert sind, möchte ich heute besonders auf Spoerri und Hadersdorf am Kamp eingehen. 2009 hat Daniel Spoerri (1930 in Rumänien geboren, Schweizer Staatsbürger) am dortigen Hauptplatz gleich zwei Häuser gekauft: das ehemalige Stummfilmkino und ein ehemaliges Klostergebäude. Im ersten ist heute ein seiner Eat-Art verpflichtetes Slow-Food-Restaurant zuhause, im zweiten das „Kunst-Staulager AB ART“ als eigentliches Ausstellungshaus. Nun ist „Staulager“ statt „Schaulager“ natürlich ein guter Wortwitz, der bereits einiges über das Lebenswerk von vielen Künstlern und Künstlerinnen ausgesagt: Die Zeit häuft etwas an, das leicht zur Verstopfung neigt. Der Name »Ab Art« wiederum ist hergeleitet von »ab origine«, also „vom Ursprung aus“. Auch das Wort »ab-artig« klingt mit, weil Kunst in Spoerris Sinne zunächst einmal immer ab-artig ist.

Leider passt das Wort aber auch zur Gemeinde Hadersdorf. Hadersdorf ist ein Ort mit wirklich hübschen alten Häusern, umgeben von Weinbergen und mildem Klima. Aber er ist auch pervers. Im Jahr 1945 wurden in ihm in den letzten Kriegstagen 61 bereits freigelassene politische Häftlinge mit Hilfe der örtlichen „Kameraden“ von der SS wieder eingefangen, misshandelt und erschossen. Diese „Kremser Hasenjagd“ ist ein Verbrechen, das im Ort bis heute schwärt. Seit Jahrzehnten laufen Diskussionen um eine entsprechende Gedenkstätte, aber der Kameradschaftsbund hat offensichtlich noch immer das Sagen.(1)

Das notorisch Wuchernde von Spoerris Kunst ist hier merkwürdig passend aufgehoben. Seine Kunst ist genauso wuchernd wie zum Beispiel der Wald, der auf dem zentralen Hauptplatz seit Jahrzehnten die Sicht auf die umstehenden Häuser verstellt. Das neurotische Verdecken-wollen wird dadurch kurios deutlich. Der ganze Ort ist ein Staulager der Geschichte. Für einen tänzerischen Künstler wie Spoerri, dessen Vater zudem von den Nationalsozialisten in einem Vernichtungslager ermordet wurde, also ein äußerst paradoxer Bleibeort.

Für sich genommen ist das Ausstellungshaus aber sehr schön.(2) In den verwinkelten Höfen und Etagen ist man ganz intim mit den Werken. Das Ausstellungskonzept, das Spoerris Arbeiten im Dialog mit jenen von Künstlerfreunden aus seinem langen Leben zeigt, funktioniert. Aktuell zeigt man vor allem Werke von Bernhard Luginbühl (bis 6. November, Öffnungszeiten DO - SO 11.00 - 18.00). Allein dessen Modelle von „Verbrennungsskulpturen“ sind dabei schon atemberaubend. Zudem tragen die Bäume im hinteren Garten vorzüglich und als Souvenir gibt es wunderbares Olivenöl aus Spoerris anderem Großprojekt, dem Künstlergarten Il Giardino in der Toskana, zu kaufen.

(1) siehe www.gedenkstaette-hadersdorf.at

(2) siehe www.spoerri.at

Mehr Texte von Vitus Weh

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