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Allan Sekula 1951 – 2013

Vermummte Demonstranten, behelmte Ordnungshüter, chaotisch sieht die Straße aus. Immer wieder neue Perspektiven. Warum fotografiert man das? Pressefotos sind es nicht, das sieht man sofort. Schnappschussästhetik zeigt sich gleichfalls nicht. "Waiting for Tear Gas" heißt die Serie, die Allan Sekula, Theoretiker und konzeptueller Fotokünstler, 1999 anlässlich eines WTO-Gipfels in Seattle begann. Diese andere fotografische Herangehensweise, fort vom Einzelbild, hin zu einer eindrücklichen aber distanzierten Darbietung geschichtlicher Ereignisse, verkörpert in Individuen, prägt das außergewöhnlich engagierte Werk des 1951 in Erie, Pennsylvania, Geborenen. Und es sind seine groß angelegten Serien, die die Arbeiten des am 10. August 2013 Verstorbenen in die Kunstgeschichte einschreiben. Sekula war nah dran. Der zweimalige Documenta-Teilnehmer verzichtete für die Demo-Serie auf alle technische Dramatik: keine Zooms, kein Autofokus oder Blitz. Er trug keine Gasmaske, ging nicht akkreditiert zum Geschehen. Kein Ästhetizismus, wie er in der Pressefotografie etwa durch die Agentur Magnum kultiviert wurde. Er zeigte das Warten, das Hocken, die Attitüden der Demonstranten. Er fotografierte die Ereignisse also nicht als Jobnehmer, sondern war Teilnehmer. Dann ist da das Maritime, ein roter Faden im Leben und Werk von Sekula. Er wuchs auf in San Pedro, einem Stadtteil von Los Angeles, der an den Hafen der Metropole grenzt. Als Student in San Diego Ende der 60er verhalf er rekrutierten Schwarzen, aus den Fängen der Marine zu entkommen. Viele schafften es nicht und waren derart verzweifelt, dass sie sich umbrachten. Das kam in den Nachrichten damals nicht vor. Er sah die Prostituierten mit Matrosen in billigen Bordellen. Ein Alltag, der nicht ohne Folgen blieb. Große Werkkomplexe setzen sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Meer auseinander. Im Zentrum steht sicher das Langzeitprojekt "Fish Story" (1989-1995), das einem großen Publikum 2002 auf der Documenta XI bekannt wurde. Es erforscht die Folgen von Rationalisierung und Automatisierung des kapitalen Marktes in Hafenstädten. Darin spiegelt sich das zerstörerische und ignorante Handeln einer globalisierten Wirtschaft. Als "paraliterarische Neufassung sozialdokumentarischer Fotografie" beschrieb Sekula selbst seine Arbeit. "Mein Ziel ist, zum einen eine klare Alternative zu der durch das gegenwärtige Museums- und Galeriensystem, das im wesentlichen alles für eine antiquarische Zukunft aufbereitet, sanktionierten fotografischen Kultur zu schaffen, zum anderen eine Alternative zur zunehmenden Institutionalisierung von 'cultural studies' im universitären Bereich anzubieten, einem durch unverbindliche, allumfassende 'Interdisziplinarität' gekennzeichneten Arbeitsgebiet, das jedoch nur zu oft den schwierigen, umstrittenen und ach so langweiligen Bereich der Ökonomie zu vermeiden versteht", vertraute er 1997 Camera Austria an, die ihm 2001 den "Camera Austria-Preis der Stadt Graz für zeitgenössische Fotografie" verlieh. Ute Eskildsen machte den Fotografen 1980 in ihrer Ausstellung "Absage an das Einzelbild" im Essener Museum Folkwang im deutschsprachigen Raum bekannt. 1992 verfasste Sekula den einflussreichen Aufsatz "Der Körper und das Archiv". Ähnlich wie wie Michel Foucault die Disziplinierung von Körpern durch das Panoptikum Jeremy Benthams beschrieb, wies er nach, dass frühe Fotoarchive im Rahmen von Polizeiarbeit und Kriminologie als Machtinstrumente zur Regulierung von Abweichlern dienten. Aus diesem Denken fand er zu einer Bildsprache, der gemäß dem Kunsthistoriker Julian Stallabrass ein Gefühl von Geschichte innewohnt, die sich wieder geltend macht.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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