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Streetwork

„Trieste – Zürich – Paris, 1914-1921“: Das sind die letzten Wörter im Roman schlechthin der Moderne. In drei Städten wurde „Ulysses“ geschrieben, und das Buch spielt zur Gänze in einer vierten. James Joyce ist einer von vielen Kronzeugen für die Bedeutung von Städten, nicht nur in der Moderne und ganz bestimmt nicht nur in der Literatur. Die Stadt bringt eine Haltung hervor, eine Mentalität, man kann sie mit dem Flaneur in Verbindung bringen, mit dem Dérive der Situationisten, aber schon Horaz spricht sie aus in seinem Eingangssatz zu einer seiner Satiren: „Ibam forte via sacra sicut meus est mos“. Zufällig, „forte“, sei er auf Roms zentraler Straße, der Via Sacra des Forum Romanum, gegangen, gerade wie es seine Gewohnheit, „mos“, ist. Das Zufällige einer Gewohnheit ist es, das den Städter auszeichnet, der eher cool ist als engagiert, eher indifferent als aufgeregt, der weiß und sich darauf einstellt, dass es Vielfalt gibt, Pluralität, Geschäfte und Geschäftigkeit. Die großen Epochen der Stadt, die Antike, das hohe Mittelalter, die Moderne, sind nicht von ungefähr jene, in denen die Demokratie ihre Konjunkturen hat. Der Mensch ist, mit Aristoteles, das Zoon Politikon, das Lebewesen in der Polis. Wie kann man das, die Komplexität, den steten Fluss, die Indifferenz und Gleichgültigkeit, abbilden? Die Stadt als Lebensform, als humane Idee, als Prinzip schlechthin skizziert das Thema. Die Zustände, die eine Stadt ausmachen, die Umstände, die sich in ihr ergeben, und vor allem auch die Abstände, die sie erfordert, sollen ermessen werden. Im Zentrum stehen die zentralen Städte, die Kapitalen, die politisch, die Metropolen, die kulturell, und die Global Cities, die ökonomisch ihre Hegemonie erweisen. In den Städten entstehen die Trends, die Moden, die Stile und dadurch die Konzepte von Veränderung. In der Frankfurter Schirn ist gerade eine Retrospektive des fotografischen Werks von Philipp-Lorca diCorcia zu sehen, und hier gibt es einen Eindruck, wie es gehen könnte mit einer Sicht auf die Urbanität, die das Flüchtige mit dem Zeitlosen, das Historische mit dem Allegorischen verbindet. Ein gewisser Aufwand ist dabei nicht zu vermeiden. DiCorcia baut auf der Straße veritable Film-Sets auf, verteilt Lampen, fixiert Szenerien und wartet derart ausgestattet auf die Passanten. Die wissen von nichts, hasten vorbei, drehen sich um sich, sind gelassen oder gehetzt. Sie sind einfach da, pure Phänomene, anonym, aber in Kleidung, Unbeteiligtheit, Motorik Bestandteil des Städtischen. So werden sie fotografiert, ad hoc, zu plötzlich, um sich umdrehen, beschweren, aufregen zu können, und die Lichtbilder, die dabei entstehen sind Delikatessen. Durch die starke Ausleuchtung ist eine rasende Perspektive in die Tiefe möglich, alles, was vorhanden ist im unermüdlichen Getriebe der Großstadt, ist auch vorhanden auf den Fotos, so scharf und präsent, wie es sich eben darstellt in einer Situation, da nicht alles gleichgültig, sondern alles gleich gültig ist. DiCorcia, geboren 1951, lebt in New York, und seine durchaus besten Fotos sind hier entstanden. Er hat auch andere Serien gemacht, aber „Streetwork“, wie die Folge der Menschen-, die dadurch Städteporträts sind, ist sein Klassiker. „Auf Syrakus, Athen, Alexandria folgt Rom. Auf Madrid, Paris, London folgen Berlin und New York“, heißt es bei Oswald Spengler, und er hat nichts anderes als Recht. Unrecht hat er, dass darin ein Beweis für irgendeinen „Untergang“ zu erkennen wäre. In den Städten gerade entwickelt sich Zivilisation. Und New York ist nicht das letzte Wort. www.schirn.de
Mehr Texte von Rainer Metzger

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