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Kunstresidenz Bad Gastein: Kunst gegen den Verfall

Ein goldener Bauzaun – das erwartet man sich eher in Städten wie Dubai oder zumindest in der Luxusmeile zwischen Kohlmarkt und Tuchlauben in Wien. Die hier angesprochene Absperrung befindet sich allerdings vor den langsam verfallenden ehemaligen Luxushotels in der „Stadt in den Alpen“ Bad Gastein und verweist schmerzlich auf die klaffenden Wunden der einstigen Kurresidenz des Adels, von KünstlerInnen und des wohlhabenden Bürgertums. „Verschönert“ hat die Gitter der in Wien lebende Künstler Clemens Wolf im Rahmen der kunstresidenz, einem artist-in-residence Programm im alten Kraftwerk am berühmten Gasteiner Wasserfall. Um das speziell im Sommer zu träge und beschauliche Bad Gastein wieder zum Leben zu erwecken hat die Hamburger Kunstsammlerin - und Bad Gastein Fan - Andrea von Goetz dieses Programm vor drei Jahren initiiert und in Doris Höhenwarter, der Kurdirektorin, eine engagierte Mitstreiterin gewonnen. Das bereits baufällige alte Kraftwerk wurde mittlerweile wenigstens außen saniert und bildet den Kern des viermonatigen Kulturprogramms. Ebenfalls unterstützt wird die Initiative von den Besitzern der Hotels Haus Hirt und Miramonte, Evelyn und Ike Ikrath, und dem Hamburger Szenegastronomen Olaf Krohne, der das Hotel Regina wiederbelebt hat. Sieben KünstlerInnen waren dieses Jahr jeweils vier Wochen in den Ateliers bzw. drei Hotels untergebracht. Alle kamen mit relativ fixen Arbeitsplänen und vorbereiteten Kunstwerken nach Bad Gastein, konnten sich aber dann doch dem (morbiden) Charme des mit einem Investor kämpfenden Ortes der die ehemaligen Baujuwelen seit Jahren verfallen lässt, nicht entziehen. So hat zwar Clemens Wolf seine bereits bekannten „versinkenden“ Einkaufswägen auf einem Felsen nahe dem Wasserfall installiert, neben den goldenen Bauzäunen aber dann Werke mit vor Ort gefundenen Elementen von Gartenzäunen aus dem 19. Jahrhundert erarbeitet. Lars Hinrichs, eigentlich bekannt für seine naturalistisch-surrealistischen Zeichnungen, hat sich zur Eröffnung der Abschlussausstellung im Rahmen einer Performance ein Schläfchen im Heuhaufen gegönnt und Malte Urbschat in einem lokalen Sanitärwarengeschäft genügend Material für seine glitzernd-bunten Materialcollagen gefunden. Vom Schlosser in Bad Gastein erhielt Urbschat dann noch eine Einführung in die Schweißtechnik, denn – so der Schlosser – wenn er den Entwurf des Künstlers umsetze, dann sei es ja eigentlich sein Kunstwerk, also müsse der Künstler das schon selber ausführen. Der Fotograf Nicolò Degiorgis hat in Bad Gastein eigentlich nur wenige Bilder geschossen, dafür aber intensiv an seiner Haltung gegenüber seinem künstlerischen Werk gearbeitet – von „Work for Art’s Sake“ bis zu „Love for Art’s Sake“. Nikola Röthemeyer hatte eigentlich Pläne für eine neue Serie von Zeichnungen, ist aber dann zur Collage übergegangen, nachdem sie im Archiv der Gasteiner Bibliothek auf eine Fülle alter Fotos, Prospekten und Ansichtskarten gestoßen war. Miriam Jonas hat ebenfalls eine bereits vorhandene Arbeit nach Bad Gastein mitgebracht und diese im extra dafür leer geräumten Architekturbüro von Ike Ikrath installiert, zur Abschlussausstellung aber hat sie kleinere (und zum Teil absurd anmutende) Zimmer im alten Kraftwerk für ihre Rauminstallationen ausgewählt. Subtil thematisiert sie die Vergangenheit des Kurortes, etwa mit einem „Seifenaltar“ oder einem Kontemplationsraum, in dem sich die BetrachterInnen vor einem giftgrünen Fliesenersatz aus den 1970er Jahren in das Buch „Lebst Du richtig? Von der Hygiene des Alltags“ eines Dr. Heinz Graupner vertiefen können, das vor absurden Vorschlägen zum gesunden Leben nur so strotzt. Das Buch ist ebenfalls ein Ergebnis von Jonas` Recherchen in Bad Gasteiner Archiven. Eine wirkliche Entdeckung der Residencies ist der 22-jährige tschetschenische Künstler Aslan Gaysumov. Er ist in Flüchtlingslagern in Grosny aufgewachsen und die Erlebnisse des Tschetschenien-Krieges sind naturgemäß die zentralen Themen seiner künstlerischen Arbeit. Das Video einer abgefeuerten Rakete die durch einen unmerklich geschnittenen Loop den Bildraum nie verlässt, erhält durch den daneben angebrachten kurzen Text seine wahre Brisanz. Gaysumov hat nämlich als Jugendlicher selbst noch gelernt, aus dem Geräusch der Rakete abzuschätzen, wo sie voraussichtlich detonieren wird. Eine grob aus Abfallstücken zusammen geschweißte Vase auf einem mit Wasser bedeckten Metalltisch thematisiert das Schicksal der Ausgebombten: in Tschetschenien geben speziell gestaltete Vasen in den Haushalten Auskunft über die Stellung der Frauen, ob ledig, verheiratet oder verwitwet. Aus dem dazugehörigen Familienbild mit seiner Mutter hat sich Gaysumov als nun meist Abwesender mittels Eselsohr ausgeblendet. Auch wenn die Gesamtinstallation im Halbdunkel mit sternengleichen Bohrungen in den Holzplatten vor den Fenstern eine ordentliche Portion Sehnsucht transportiert, von Aslan Gaysumov ist noch viel zu erwarten – demnächst im Rahmen der Moskau Biennale (20.09. – 20.10.2013). Und wenn die Kunstresidenz Bad Gastein weiterhin solch junge Talente an den Wasserfall einlädt, hat auch der alte Kurort eine Chance auf Erneuerung.
Mehr Texte von Werner Rodlauer

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Kunstresidenz Bad Gastein
27.07 - 22.09.2013

Altes Kraftwerk am Wasserfall
5640 Bad Gastein, Wasserfallstraße 7
Email: info@artbadgastein.com
https://artbadgastein.com/
Öffnungszeiten: Mo-Do 14-18, Sa, So 12-18 h


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