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Langeweile

Über einen Feiertag freue ich mich. Folgt dem einen aber noch ein zweiter – wie an Weihnachten, Ostern und Pfingsten – überkommt mich schnell die Langeweile. Diesen Pfingstmontag konnte ich zum Beispiel der drohenden Fadesse nur Paroli bieten, indem ich in die Kunsthalle Wien zum WWTBD-Festival ging. Das Thema des Podiumsgesprächs war passenderweise „Langeweile“. Während Lukas Gehrmann als Moderator anfangs noch betonte, dass er mit Elisabeth von Samsonow und Marko Lulic zwar über das Thema Langeweile sprechen, dies aber keineswegs langweilig werden würde / dürfe, kristallisierte sich im Gesprächsverlauf zunehmend heraus, dass genau dieser Imperativ heute zum Problem geworden ist: Durch unseren protestantischen Arbeitsethos und die Durchökonomisierung aller Zusammenhänge haben wir heute schlicht zu wenig Langeweile. Uns fehlt der echte tiefe Ennui. Denn heute muss alles „spannend“ sein. Und wir „wach“ dafür. Die tägliche Aufgedrehtheit beginnt mit dem Ö3-Wecker und zieht sich bis zum abendlichen Red-Bull-Konsum. Elisabeth von Samsonow brachte die entsprechende Diagnose auf den schönen Sager von der „Kaffeerauschgesellschaft“. In ihr fusioniert das angloamerikanische „Time is money“ mit „coffee to go“ zu „Speed kills“. Doch ohne Langeweile können wir uns gar nicht mehr regenerieren und orientieren. Wir rotieren nurmehr sinnlos. Entsprechend umkreiste Marko Lulic in seinen Gesprächsbeiträgen verschiedene Strategien der Effektivitätssimulation – bis hin zum Burn Out. Und von Samsonow empfahl z.B. das Zappen und den stupiden Fernsehkonsum. Diese plötzliche Wertschätzung der Langeweile stellt nun die bisherige Philosophiegeschichte direkt auf den Kopf. Im Gegensatz zur willkommenen „Muße“ wird ja Langeweile gemeinhin als erzwungen und unlustvoll empfunden. Kaum ein Denker hat darin bisher etwas anderes als eine Qual und Sünde gesehen. Der Französische Philosoph Blaise Pascal (1623-1662) beschrieb die Langeweile beispielsweise noch wie folgt: „Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung. Er wird dann sein Nichts fühlen, seine Preisgegebenheit, seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere. Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele der Ennui aufsteigen, die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verzicht, die Verzweiflung.“ Und von Voltaire (1694-1778) stammt die Sentenz „Wenn sich Affen langweilen würden, wären sie Menschen.“ Doch in unserer durchökonomisierten Welt hat sich die Perspektive offensichtlich verschoben. Nun erhoffen wir uns plötzlich genau von jenen Momenten, in denen die Zeit sprichwörtlich zu Blei wird und sich dehnt wie Kaugummi, eine seelische Rettung. Ist das nicht „spannend“? Persönlich werde ich jedenfalls meine Kinder das nächste Mal viel glücklicher anschauen, wenn sie wieder einmal jammern, Ihnen sei so unglaublich langweilig.
Mehr Texte von Vitus Weh

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