Werbung
,

Adrian Melis - The Value of Absence: "Ich setze auf Optimismus."

Im letzten Saal der Kunsthalle Basel umgeben von weißen Wänden ein schlichter Arbeitsplatz bestehend aus einem Schubladencontainer, einem Stuhl, einem Schreibtisch, darauf ein Telefon. Allesamt weiß, allesamt funktional. Ein verwaister Arbeitsplatz umgeben von Leere und Abwesenheit. In die Stille hinein startet plötzlich die Rede des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, der am 4. November 2012 seine Landsleute aufrief, Spanien aus der Krise zu holen, indem 5 Millionen Stellen geschaffen werden. Minuten später wiederholt sich der Spuk. Erst dank des begleitenden Ausstellungsführers wird "The Value of Absence" wie der Titel der Ausstellung von Adrian Melis lautet, erkennbar. Für diese Installation mit dem Titel "The Best Effort" (2013) lancierte Melis in Spanien eine Werbekampagne und offerierte im Zuge dessen 30 Arbeitsplätze in der Schweiz. Doch die Bemühungen der Anrufenden bleiben erfolglos und jedes Mal wenn jemand die angegebene Telefonnummer anwählt startet in der Kunsthalle die Rede Rajoys. Der Hilflosigkeit des nach Arbeit Suchenden steht die Hilflosigkeit des in der Ausstellung Verharrenden gegenüber. Verbunden sind beide durch die Aussagen eines Politikers. Erst die Wiederholungen offenbaren den wahren Wert seiner pseudooptimistischen Aussagen und führen angesichts der wirtschaftlich katastrophalen Lage jegliche Option in der gelobten Schweiz Arbeit zu finden ad absurdum. Adrian Melis, in Barcelona lebender Künstler kubanischer Abstammung, war bereits 2011 im Rahmen der Gruppenausstellungen "How to Work" und "How to Work (More for) Less" in der Kunsthalle Basel aufgefallen. Mit seiner derzeitigen Einzelausstellung gelingt dem 1985 in Havanna Geborenen ein überzeugender Auftritt. Insgesamt präsentiert er 10 unterschiedliche Installationen, Fotos und Videos, welche auf geradezu perfide Weise ineinandergreifen und den Begriff Arbeit und dessen unterschiedliche Bedeutungen, die sich in der Wertigkeit von Moral bis hin zur Identität und von Verleumdung bis hin zur Anarchie zeigen, sichtbar machen. Eines der Talente des im vorigen Jahr mit dem GAC Award des Museum d'Art Contemporani de Barcelona ausgezeichneten jungen Künstlers liegt in der dokumentierenden Sichtbarmachung von nicht sichtbaren Produktionsabläufen, Arbeitsergebnissen und Beschäftigungsmaßnahmen. Besonders eindrucksvoll ist im Rahmen der Installation "378.890 sqm planned" (2012) das am Boden liegende Architekturmodell eines Industrieparks, welchem die Schnittmenge der zwar geplanten aber nicht produzierten Baumaterialien von vier kubanischen Unternehmen zugrunde liegt. Ob er hierbei wie im Video "The Making of Forty Rectangular Pieces for a Floor Construction" (2008) Arbeiter dafür zahlt, mittels Tönen und Geräuschen die nicht vonstatten gehende baumaschinelle Produktion zu simulieren oder wie in "Production Plan of Dreams for State-Run Companies in Cuba" (2010-2012) diejenigen, die sich während der offiziellen Arbeitszeit einem Schläfchen hingaben auffordert, ihre Träume aufzuzeichnen und somit auf andere Art kreativ werden lässt; ob er die reichhaltigen Entschuldigungen derjenigen, die nicht zur Arbeit gehen, per Video archiviert wie in "Purchase of Excuses for Absence from your Workplace" (2009/2010) oder ob er in der Fotoserie "Stock" (2012) Orte des Diebstahls von Materialien jeglicher Art als Orte der Abwesenheit markiert, immer benutzt Melis die ihm zur Verfügung stehenden Medien dramaturgisch geschickt, um den Wert dieser Abwesenheiten einzufangen. Im dritten Saal präsentiert Melis mit "Moments that Shape the World II" (2012) einen aus Filmausschnitten eines Musikfestivals raffiniert mit Tonaufnahmen einer demonstrierenden Menge unterlegten Videofilm, dem er vier Sitzgelegenheiten gegenüberstellt. Letztere mit dem Titel "Light Off" (2013) sind an den spanischen Aktienindex IBEX 35 gebunden und wechseln gemäß Indexverlauf ihre Farbe. Somit akustisch und visuell eingestimmt folgen im nächsten Saal mit "Punos de Reposición – Replacement Points" (2013) zwanzig Fotografien von Wänden im öffentlichen Raum einiger spanischer Städte, die kämpferische Parolen enthielten und mittlerweile übermalt wurden. Der Nüchternheit ihrer Übermalungen steht die Brisanz der darunter verborgenen Aussagen wie z.B. „Franco is back. This time disguised as a banker.“ oder „As long as the media are still lying, walls will still be talking.“ gegenüber, welche sich im Untertitel des jeweiligen Fotos wiederfindet. Erst diese stillen Manifestationen einer stetig zunehmenden Zensur schaffen den Zustand einer Ohnmacht gegenüber dem herrschenden System. Melis unterläuft bewusst Erwartungshaltungen und wirft mit der Leere des letzten Saals den Betrachter auf sich selbst zurück. Und seine Dramaturgie, seine Strategie der Manipulation geht auf. Die Spannung, welche mit dem Video im dritten Saal einen ersten Höhepunkt erhalten hat und durch die Wandparolen noch verstärkt wurde, verpufft angesichts des einsamen Schreibtisches, des leeren Arbeitsplatzes und verwandelt sich in offene Fragen, in ein Gefühl der Beklommenheit und in gärenden Unmut. Melis ist ein hervorragender Beobachter, mit einem feinem Gespür für den Augenblick. Noch scheinen die von ihm dokumentierten Zustände weit weg. Umso unmittelbarer erschließt sich die dystopische Stärke seiner Beobachtungen beim Verlassen der Kunsthalle und dem Eintauchen in die heile Welt Basels.
Mehr Texte von Harald Krämer

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Adrian Melis - The Value of Absence
24.03 - 26.05.2013

Kunsthalle Basel
4051 Basel, Steinenberg 7
Tel: 0041-61-206 99 00
http://www.kunsthallebasel.ch
Öffnungszeiten: Di, Do-So 11:00-17:00
Mi 11:00-20:30


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: