Werbung
,

Die lehnenlose Bank: Inside the Dark Cube

Wenn ich alleine in einer Ausstellung bin, lege ich mich manchmal hin. Nicht um zu schlafen, sondern um Videos oder Filme anzusehen. Luxuriös ist es, an schwach besuchten Normalbetriebstagen in Ruhe jene Arbeiten ansehen zu können, für deren Erstpräsentation sich meist viel zu viele Menschen den knappen Raum teilen müssen. Dann liege ich auf jener lehnenlosen Bank, die zum Möbelstück der Wahl wurde, wenn immer im zeitgenössischen Ausstellungsbereich projiziert wird. Zuletzt in der Secession, in Mathias Polednas schöner Ausstelllung, bin ich nicht gelegen, doch die Bank fiel mir wieder auf, und zugleich jene anderen – mittlerweile fast kanonisierten Elemente – die sich über die letzten Jahrzehnte für die Gestaltung von »Dark Cubes« und Projektionen durchgesetzt haben. Viel war bei Poledna über Film und die damit verbundenen Stilprinzipien zu erfahren, doch ebenso deutlich blieben jene Präsentationsentscheidungen ablesbar, mit denen sich Medieninstallationen im Ausstellungswesen vom Format »Kino« unterscheiden. Diese formalen Marker dienen als zuverlässige Indikatoren für die Frage, aus welchem »Betriebssystem« sich die jeweilige Bewegtbildpraxis entwickelt hat, ähnlich jener anekdotischen Beobachtung, die sagt, dass es sich um »Performance« handelt, wenn zwischen Publikum und Aktion eine Kamera steht, während dies für »Theater« weiterhin verpönt wäre. Wie so oft ist die Kunst brechtischer als das Theater. So ist – neben der kargen Bank – das Zeigen der Apparatur im Ausstellungswesen schon sehr lange »comme il faut«. Kaum jemand käme noch auf die Idee, einen Projektor verstecken zu wollen. Im Gegensatz zum Kino mit seinen abgetrennten und akustisch isolierten Vorführräumen hängen die Beamer mit sichtbaren Kabeln von der Decke. Wenn 16mm oder 35mm Film verwendet wird, steht oft die gesamte analoge Apparatur frei im Raum und gibt den Blick und das Gehör frei auf ratternde Greifer und jene kunstvollen Umlenkkonstruktionen, die nötig sind, um das Medium Film mit einer weiteren Anforderung des Ausstellungsbetriebs kompatibel zu machen, dem Loop. Wer auf festen Beginnzeiten besteht und womöglich noch versucht den Einlass für Zuspätkommende zu verbieten, kommt aus dem Filmkontext. Im Ausstellungswesen hat sich der Loop durchgesetzt, wohl auch um die Filminstallation für Gruppenausstellungen mit ihrem flanierenden Publikum kompatibel zu machen. So selbstverständlich es im Kino ist, den Film nur zu bestimmten Zeiten sehen zu können, so sehr haftet einer strikten Zeit- und Zugangsregulierung im Großausstellungswesen mittlerweile etwas leicht Altmodisch-Egomanisches an. Zum Flanieren gehören barrierefreie Wege und ausreichende Beleuchtung, weswegen sich für den Übergang von Hell zu Dunkel offene, feste gebaute Lichtschleusen gegenüber Türen und Vorhängen durchgesetzt haben. Fortschritte in der Projektionstechnik halfen dabei das Paradigma der absoluten Dunkelheit aufzulockern. Wer heute völlige Dunkelheit für Projektionen vorschreibt »spielt« mit den Codes des Theaters und des Kinos oder verfolgt eine ästhetische Umkehrung des angeblich makellosen White Cube. Der ausstellungsgestalterische Normalfall sieht jenes Halbdunkel vor, in dem nicht nur der projizierte Film zu sehen ist, sondern eben auch die Architektur, die Apparatur und andere Menschen. Mit jedem Zuwachs an leistbarer Lichtstärke wurden auch die technisch-gestalterischen Methoden zur Erreichung dieses Halbdunkels verfeinert: Lautete die Devise ursprünglich schlicht »Abhängen und Abkleben«, tritt heute ein sorgfältig gewählter Mix aus Maßnahmen (Filterfolien, veränderte Leuchtmittel, Umbauten etc.) an die Stelle des brachialen Abdunkelns aus der medialen Frühzeit. Alle genannten Details verbindet eine aufklärerische Haltung des »Ausstellens«, der jeder Illusionsraum und jedes ozeanische »Abgleiten« zu Recht zum Horror geworden ist. Da das »Zurücklehnen« als Vorstufe des somit verpönten »Versinkens« gelten könnte, liefert dieser Ansatz auch die Begründung für die omnipräsente lehnenlose Bank: Meist steht sie in der Bildachse und fast immer frei im Raum, so dass auch keine Wand als Lehne dient. Sie zwingt zu einer leicht vorgebeugten Haltung, die aufmerksam macht oder zumindest so wirkt. Steht man weit hinter ihr, sieht man dann, von welchem Punkt aus ihre Sitzfläche an der unteren Bildkante ausgerichtet wurde, wie um zu unterstreichen, dass sie gleichermaßen Installationsbestandteil wie Sitzmöbel ist. Ihre Qualität als Sitzmöbel bleibt zwiespältig.
Mehr Texte von Martin Fritz

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

2 Postings in diesem Forum
Desillusion ?
bitteichweisswas | 07.05.2013 06:33 | antworten
"..der jeder Illusionsraum und jedes ozeanische »Abgleiten« zu Recht zum Horror geworden ist." > Glauben Sie nicht, dass das Fehlen gerade dieses Illusionsraumes auf die jeweilige Verweildauer bzw. den Rezipierungswillen d geneigten Publikums negativ auswirken kann !!??
Erratum
bitteichweisswas | 07.05.2013 06:35 | antworten
...dass sich das Fehlen...

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: