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Der Whiskeykurator

Einst stellte man sich unter einem Kurator so einen wie den Harald Szeemann vor, einen Visionär und Querdenker (Kuratorinnen mit derartigen Popstar-Qualitäten gab es lange nicht). Als ich in den 1990er-Jahren studierte, hielt ich Leute mit einem solchen Job für unglaublich intelligent, vernetzt, wichtig und toll. Die Berufsbezeichnung war der bildenden Kunst vorbehalten: Kuratoren arbeiteten in Museen und anderen Institutionen, und kuratiert wurden Ausstellungen, sonst nichts. Vor Szeemann gab es das Wort übrigens in dieser Bedeutung nicht einmal.

In jüngerer Zeit schwappte der Begriff allerdings auf alle möglichen anderen Lebensbereiche über und erlebt derzeit geradezu eine Inflation. Es ging damit los, dass plötzlich nicht nur Ausstellungen, sondern auch Filmabende, Theaterprojekte, Lesungen und alles mögliche andere „kuratiert“ wurde. Längst reicht es, einen Namen mit einem anderen zu kombinieren, ein Werk welcher Natur auch immer von einem zweiten begleiten zu lassen oder irgendwohin Vortragende einzuladen – und schon ist man Kurator oder Kuratorin.

Doch das war nur der Anfang. So gibt es zum Beispiel anscheinend im Internet irgendwelche Wundertools, mit deren Hilfe Journalisten und Journalistinnen „Inhalte kuratieren“ (also vermutlich aus dem Internet zusammensuchen und dann mixen) können. Auf der Website von Louis Vuitton heißt es, die Redakteurin einer Modezeitschrift „kuratiere“ Taschen; es stellt sich heraus, dass sie verschiedene Modelle des Luxuslabels mit Pariser Bezirken assoziiert und uns diese Gedanken per Kurzvideo mitteilt! Leute stellen Linklisten ins Netz, Johnny Depp nennt ein paar Lieder, um eine CD zu füllen, die Schauspielerin Ursula Strauss lädt eine Leute zu einem Kulturfestival, irgendwer überlegt sich eine Whiskeykarte für sein Restaurant – alles selbst- oder fremdernannte Kuratorinnen und Kuratoren! Und unlängst stand in der Süddeutschen ein an sich recht erfreulicher Artikel über neue Buchhandlungen in Berlin – die von ihren Eigentümern „kuratiert“ würden. Und wen wundert’s? Klingt doch schließlich viel cooler, lässiger und auch ein bisschen nach Kunst, wenn nicht bloß banal zusammengestellt oder kombiniert wird, sondern kuratiert.

Demnächst wird es wohl Kuratoren und Kuratorinnen für Wursttheken im Supermarkt, Brötchenbuffets beim Feuerwehrfest oder die musikalische Umrahmung von Weihnachtsfeiern geben. Das hätte sich Szeemann wohl nicht träumen lassen.

Mehr Texte von Nina Schedlmayer

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Ihre Meinung

4 Postings in diesem Forum
Vogelfrei
bitteichweisswas | 25.02.2013 05:52 | antworten
tja- das ist leider so mit den "nicht eingetragenen Berufen"
Auf den Punkt getroffen...
Thomas Wulffen | 25.02.2013 06:10 | antworten
Siehe auch hier: http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=36532430#editor/target=post;postID=319253122445694485
Sprachliche Verschiebungen
crisfor | 25.02.2013 06:29 | antworten
zeigen immer, was sich in der Gesellschaft abspielt. Die Bezeichnung CEO („Chief Executive Officer“) für den Vorstandsvorsitzenden eines Unternehmens kommt aus dem Militärwesen. Wo spielt sich denn heute Krieg ab? In den Modernisierungsdiskurs rund um die Schulen und Hochschulen mischen sich gerne Schlagworte, die aus der Wirtschaft und nicht aus der Pädagogik kommen. Die Kunst ist heute mehr Auktionsereignis, Spielplatz für die Quote, event für alle, etc. als ernsthafter Diskurs um Inhalte. Wen wundert´s, wenn demnächst Wursttheken kuratiert werden. Kunst ist vom Sockel gehoben worden, auf dem sie noch zu meiner Studienzeit stand - und ich habe etwas früher studiert als die Autorin - vielleicht ist viel Kunst jetzt so banal wie Wursttheken. Umgekehrt: die Ästhetisierung aller Lebensbereiche ist erreicht.
der Heiler
Stach | 25.02.2013 08:45 | antworten
naja, wenn man auf die Herkunft des Wortes zurückgeht, ist's vielleicht gar nicht so unpassend: lat. cura heißt Sorge/Fürsorge/Sorgfalt/Bemühung/Aufmerksamkeit/Pflege/Aufsicht/Betreuung ... auch: Heilung(!). Jemand, der sich ausreichend mit Sorgfalt um etwas kümmert, ist halt ein Kurator. Auch wenn's um die Heilung des Kunden durch eine Wurstsemmel geht.

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