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Anna-Maria Bogner, Christina Boula, Iris Dostal, Frederike Schweizer - Nunc Stans: Zeit, Raum, Existenz

„Nunc stans“ (lat. „das stehende Jetzt“) ist die Thematik, mit der vier jungen Künstlerinnen das Galerienpublikum konfrontieren und irritieren, „nunc stans“ und nicht konstant, eben nur jetzt, für die Dauer von zwei Wochen. Die vier präsentierten Arbeiten könnten kaum stärker differieren: Eine schwarze Box, in der bei monotonem Rauschen ein nicht bearbeitetes Dia gezeigt wird, den ganzen Tag lang. Am nächsten Tag kommt dann das nächste, unbehandelte Dia – Anna-Maria Bogner; ein lang gestreckter Sockel mit schwarz eingefärbten toten (präparierten, also keine Verwesungsplastik) Küken – Christina Boula; an den Wänden zwei bestickte Textilien, in denen es um „Love“ und „She“ und „Meet“ geht – Frederike Schweizer; und ein übers Eck gehängtes 2-teiliges Bild, ziemlich düster – Iris Dostal. Die Textilien kommen mit ihren Sprüchen dem unterhaltungsbedürftigen Publikum gefällig entgegen, das Gemälde sucht einen Raum visuell zu öffnen. Das sich selbst erklären Wollende ist rasch verstanden. Mit höheren Anforderungen konfrontieren die installativen Arbeiten von Christina Boula und Anna-Maria Bogner. Stellt man sich deren anspruchsvoller und doch aufreizender Komplexität, öffnet sich tatsächlich ein Raum, kein visueller, sondern ein imaginärer, der genügend Platz für Erfahrungen lässt. Die zwei Künstlerinnen beziehen sich in ihren Eigenarten ernsthaft auf „nunc stans“ als ideelles Statement. „Das stehende Jetzt“ wird als der Punkt begriffen, in welchem der Moment sich in das Moment wandelt, das sich als ein irrationaler Erfahrungsraum den Kategorien von Zeit und Raum sowie jeder positivistischen Begrifflichkeit entzieht. Nicht einforderbar, wiederholbar oder konstruierbar, stellt sich seine Gültigkeit und Relevanz über jede strategische, berechnende Effizienz hinweg ein, und behauptet per se sein essentielles und existenzielles Dasein. Ähnlich Metaphern reflektieren die beiden Werke den diffizilen Kontext. Die Kükenschar ist nach wenigen bewussten Lebens- oder besser Erlebensmomenten gestorben, in der Maschinerie der industriellen Eiererzeugung. Die Küken liegen in derselben Position wie unmittelbar nach dem Geschlüpftsein, gerade erwacht, gerade gestorben. Sie liegen da, wie am Laufsteg, und das in unendlich fortsetzbaren Reihen und schwarz eingefärbt. Der Tod enthebt sie ihrer Individualität, die Präparierung dem zeitlichen Verfall. „Nunc stans“ ist sowohl im kurzen Erfahrungsbereich des Lebens als auch in dem Zustand des Todes verortbar, zugleich verunmöglicht die Präsenz an einem der Orte diejenige am anderen. „Nunc stans“ ist auf seinen paradoxen Nullpunkt gebracht. Anna-Maria Bogner reduziert auf eine radikale Sinnbildlichkeit: Der monoton rauschende Projektor dient als Zitat der Erinnerung. Das Ereignis spielt sich in einem abweisenden schwarzen Gehäuse, in der Projektionsbox ab, deren Inneres man zur Betrachtung betreten muss. Andernfalls ist das Gesehene fragmentiert. Das leere Dia verweist darauf, dass „nunc stans“ als solches willentlich weder erzeugbar, noch als unmittelbare Erfahrung wieder aufrufbar ist. Es entzieht sich bildlich (wie verbal) einer narrativen wie einer definitiven Eindeutigkeit. Das leere Nichts des Dias beinhaltet zugleich ein luzides Alles. Dieses bezieht sich allein auf seine Gegenwärtigkeit, am Ende des Ausstellungstages wird es mit dem Datum und seinem Titel „nunc stans“ beschriftet und archiviert, am folgenden durch das nächste leere Dia ersetzt. Die Werke von Boula und Bogner stellen eine bewusst gesetzte Irritation dar, die künstlerische Strategie ist konsequent und mutig. Denn wie das gewählte Thema selbst sind die beiden Arbeiten in einer marktwertorientierten Kunstszene kaum effizient. Wer mag sich schon mit 203 toten schwarzen Küken umgeben oder ein spärlich beschriftetes leeres Dia kaufen? „Nunc stans“ ist ein beachtliches Statement der Künstlerinnen - und des Galeristen.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Anna-Maria Bogner, Christina Boula, Iris Dostal, Frederike Schweizer - Nunc Stans
20 - 30.11.2012

Galerie Gerhard Sommer
1010 Wien, Himmelpfortgasse 22
Tel: +43 316 81 00 98, +43 664 30 77 179
Email: office@kunstundhandel.com
http://www.kunstundhandel.com
Öffnungszeiten: aktuelle Ausstellungen siehe Galerie GALERIE


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
„SUPERSIZE ME “ und was noch alles geschah...zu ihrer Kritik im Artmagazin vom 22.11.2012:
Marieli Fröhlich | 29.11.2012 10:45 | antworten
Eine wohlfeile Eigenschaft von Federvieh ist es sich aufzuplustern und das Agressionspotenzial ihres Körpers durch eine überdimensionale Vergrößerung seines Volumens aufzuzeigen. Das trifft auf die Küken der Installation der Christina Boula nicht zu. Ihr fröhliches Sonnengelb ist tiefem Schwarz gewichen. Dem Abfallprodukt unserer industriellen Verarbeitung von Lebewesen hält die Künstlerin in einer warholschen Anordnung, der Dekadenz unseres Konsumverhaltens leicht lesbar den Spiegel vor. Ihr polyvalentes Spiel mit der Ästhetisierung der Küken tut der Eindringlichkeit aber keinen Abbruch. Wer sich die Zeit nimmt, die Ausstellung Nunc Stans genau anzusehen, wird feststellen, daß die Exponate gerade von ihren gegensätzlichen Positionen profitieren und einander ergänzen. Die textilen Arbeiten von Frederike Schweizer sind vielleicht auf den ersten Blick schnell verständlich, wenn man sie nicht korrekt zu lesen versteht, denn es steht nicht einfach Love, She und Meet darauf , vielmehr werden in einem ironischem Subtext feingestichelte Botschaften geliefert und diverse Schlagworte volatil aus einem gelernten Kontext gerissen und neu interpretiert. Die Textilarbeiten entziehen sich auf wohltuende Weise dem angesagten und kritikergefälligen Trend( der längst keiner mehr ist) von leider allzu oft recht bemüht und abgestanden wirkender Konzeptkunst, mit einer feinen Mischung aus Sinn für pointierten Humor und Metapher. Was können die Nadel-Arbeiten von Frederike Schweizer im weitesten Sinne künstlerisch anders ausdrücken und transportieren als Malerei oder Skulptur, Video oder Fotografie? Durch die Verwendung der gleichen Materialien wie schon die Damen der Hofgesellschaft des Mittelalters, setzt sich die Künstlerin dem selben Jahrhunderte alten performativ kontemplativen Arbeitsprozess aus und knüpft direkt an die traditionelle weibliche Handarbeit, die Stickerei an, welche den Frauen nicht nur half sich lange Abende zu vertreiben sondern auch mit geheimen Versprechungen aufgeladene Sprüche zu verewigen und damit ihren Werkstücken eine fetischhafte Bedeutung zu verleihen. Die Bedeutung von „Nunc Stans“ bei Frederike Schweizer bezieht sich auf die gefühlte Zeit der Hinwendung zur Handarbeit . Das hat mit gedanklichen Anwesenheit(en) und Abwesenheit während der monotonen Tätigkeit zu tun, in welcher sämtliche Versprechungen in den Stoff eingestochen und mit Emotion aufgeladen werden. Somit entfaltet sich das Werk der Künstlerin Frederike Schweizer in der Abkehr vom Monumentalen und steigert sich zur Lesbarkeit der ins stoffliche eingeschriebenen ubiquitären Befindlichkeiten der weiblichen Geschichte. Bei der Beschreibung der „Reduktion auf eine radikale Sinnbildlichkeit“ bei Anna-Maria Bogner’s Arbeit wurde offensichtlich vergessen dass in den späten 50er Jahren bereits Peter Kubelka im von ihm konzipierten schwarzen Kino seinen strukturellen Film „Arnulf Rainer“ unter Verwendung der Einzelbildtechnik zur Vorführung brachte. Die Arbeit ist als Filmstreifen im Whitney Museum of Modern Art in einer Dauersaustellung unter den wichtigsten Künstlern des 20.Jahrhunderts zu finden. Auf die Leinwand projiziert besteht sie nur aus Ton/fehlendem Ton und einer rhythmischen Abfolge schwarzer und weißer Filmkader und entspricht in ihrer formalen Radikalität und Bedeutung in der Filmkunst analog dem schwarzen Quadrat von Ad Reinhard 1952. Frau Bogner’s Arbeit unterliegt selbstverständlich nicht dem Zwang der Einzigartigkeit sollte aber unter diesem Aspekt unter die zahlreichen Zitate und Bezüge auf die Arbeiten von Peter Kubelka, Ad Reinhardt und On Kawara’s date paintings eingereiht werden. Iris Dostal eröffnet in ihrem imaginären Raum/Körper nicht mehr und nicht weniger „Platz für Erfahrungen“ als die anderen Künstlerinnen. Die in ihrem Artikel geäußerte tendenziöse Kritik möchte ich als weißes Rauschen bezeichnen, möge Roman Opalka mit Ihnen sein.

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