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Zwiespältige Signale: Das Doppelgesicht von Einladungen

Nachdem wir beim letzten Mal das Regelwerk innerhalb von Ausstellungen betrachtet haben, bewegen wir uns einen Schritt zurück, um ein Element der kunstbetrieblichen Toolbox genauer zu beleuchten, dem eine Schlüsselrolle in der Steuerung von Aufmerksamkeit und Zugang zukommt. Die Rede ist von Einladungen, die in gedruckter, elektronischer oder mündlicher Form ergehen können und meistens zwei Funktionen erfüllen sollen: Die Eingeladenen sollen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einen bestimmten Ort bewegen und zugleich jenes Mindestmaß an Information erhalten, welches sie dazu befähigt, eine Besuchsentscheidung auch über den Einzeltermin hinaus zu treffen. In diesem alltäglichen Vorgang steckt jedoch jede Menge an praktischer Ein- und Ausschlussarbeit, sodass es sich lohnen würde, das weite Feld umfassend kulturwissenschaftlich zu sortieren. Wie so oft übernehmen die causeries dafür den anekdotischen Einstieg, der uns dieses Mal zu einem Hannover´schen Friseur führt, bei dem wir mithören konnten, dass eine Kundin als Begründung für den Besuch hochgestimmt bekanntgab, durch einen Bekannten an eine Einladung für eine Kunstvereinseröffnung gekommen zu sein. Es spricht nicht gegen den Kunstverein Hannover, darauf hinzuweisen, dass seine Eröffnungen damals alltägliche, unauffällige Veranstaltungen waren, die selbstverständlich auch für jene offenstanden, die nicht über eine Einladung verfügten, doch schärfte das Mithören der Unterhaltung das Bewusstsein für die Doppelnatur des unscheinbaren Kärtchens: So offen sie auch formuliert sein mögen, transportieren Einladungen doch nahezu automatisch die Nachricht, dass man eingeladen sein müsse, um eine bestimmte Veranstaltung besuchen zu können. Das Doppelgesicht des Dokuments besteht also immer auch in einem mitschwingenden Signal an alle jene, die nicht über es verfügen. Überträgt man die Zwiespältigkeit des Vorgangs also auf die gesamte Gesellschaft, könnte darüber nachgedacht werden, was es für den Kunstbetrieb bedeutet, nahezu wöchentlich Nicht-Einladungen an den Großteil der Bevölkerung zu richten. Insbesondere die PR-Abteilungen der großen Museen sollten strategisch darüber nachdenken, welche unterbewussten Ausschlussnachrichten sie jedes Mal senden, wenn sie die Öffentlichkeit mit Nachrichten von «exklusiven» Previews oder «unvergesslichen Abenden für die geladenen Gäste» beliefern. Ist man einmal auf die Wirkung solcher zwiespältiger Signale aufmerksam geworden, wäre auch zu überlegen, ob der beliebte «Tag der offenen Tür» nicht durch seinen Titel signalisiert, dass ebendiese Türe im Normalbetrieb verschlossen ist. Mit welchen minimalen Formulierungsänderungen hier bereits profunde Haltungsunterschiede ausgedrückt werden, zeigt etwa der Umstand, dass die private Sammlung Essl in jeder ihrer Einladungen «Sie und Ihre Freunde» einlädt, während die öffentlich finanzierte Albertina mitteilt, dass die Einladung nur für zwei Personen gilt und – immerhin «höflich» – darauf hinweist, dass «nur begrenzt Sitzplätze vorhanden» sind. Häufig wird die Frage nach den Adressat_innen dadurch umschifft, dass nicht jemand, sondern zu etwas eingeladen wird, wobei generell feststellbar ist, dass die Informationskarte ohne den Begriff «Einladung» im Vormarsch ist. Dies ist jedoch nicht nur aus Offenheitsgründen praktisch, sondern dient auch dazu, in getrennten Druckwerken oder Mailings noch differenzierter und terminabhängig einmal «Sie und Ihre Begleitung» einzuladen, oder mit Namensnennung und dem Zusatz «unübertragbar» eindeutig zu signalisieren, keinen Bock auf den Anhang des Eingeladenen zu haben. Jede halbwegs professionelle Institution führt mittlerweile ihre A-, B- oder C-Listen, wobei es immer aufschlussreich ist, zu beobachten, wie man selbst die Listen hinauf-, hinunter- und hinausklettert, und wie lange es braucht, bis nach einem vorübergehenden Upgrade – etwa wegen der Beteiligung an einem Projekt – die Einladungsdaumen wieder hinuntergehen, wenn der Grund dafür wegfällt. Interessanterweise tat sich gerade der ansonsten höfisch geprägte Wiener Kunstbetrieb lange schwer damit, sein Publikum hart zu klassifizieren, und die versendeten Einladungen tatsächlich zu kontrollieren, was lange Zeit auch bei Eröffnungen von Großveranstaltungen zu einem angenehmen «Everybody Goes» führte, was eher den Sound etwas ehrgeizlosen Massen-Small-Talks zur Folge hatte, als nach jenem aufgeregten «Buzz» zu klingen, der in den hierarchisch ausgefeilteren Metropolen erklingt, wenn viele nach Einladungen gieren, die nur wenige bekommen. Doch gibt es derzeit Anzeichen dafür, dass absurderweise Wiener Häuser gerade in jenem Moment auf Schichtung und Exklusivität setzen, in dem sich die institutionelle Avantgarde international auf die Suche nach neuen Allianzen, sozialem Basisanschluss und legitimer Communityorientierung macht. Unfreiwillig war da das «unprofessionelle» Wien ohne Previews, Dinner und Securities manchmal avancierter und barrierefreier, wiewohl ihrem Verfasser bewusst ist, wie sozial homogen und «weiß» diese Offenheit immer war. Einladungen und die jeweils für sie verwendete Form bleiben also auch in Zeiten ihrer massenhaften digitalen Automatisierung wohl eines der aussagekräftigsten Messinstrumente für die Einschätzung des jeweiligen «Events» und dessen Haltung gegenüber seinen Zielgruppen. Trotz des einfachen Vorgangs ist die Variationsbreite enorm, und in sehr direkter Form bringen Einladungsmodalitäten die Projekte dazu, mit ihrem potenziellen Publikum zu «sprechen»: Manche Veranstaltungen flehen geradezu darum, dass irgendwer sie besucht, und sie unterstreichen ihre Not durch vielfache Wiederholung und immer neue Vorwände (Vernissage, Halbzeit, Sonderführung, Finissage), während bei anderen Anlässen die Angst vor Überfüllung und Versorgungsengpass durch strikte Vorauswahl und Anmeldeklauseln spürbar wird. Betrachtet man Einladungen also als Aushängeschilder auf einem Aufmerksamkeitsmarkt, geben sie vielfältige Hinweise darauf, zu welchen Bedingungen das erhoffte Date zwischen Angebot und Nachfrage stattfinden soll, und wer womit im Balzen um den Besuch zu punkten versucht.
Mehr Texte von Martin Fritz

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