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Camille Corot - Natur und Traum: Mehr als nur ein Vorläufer

Pierre Lanith Petit fotografierte 1860 den französischen Maler Camille Corot. Lächelt er, der 1796 Geborene? Oder schaut er nur im Tagtraum in sich hinein und damit in eine Weite, die man als Außenstehender nicht ermessen kann, weil sie nicht real ist? Beschäftigt man sich mit dem Künstler, der klischeehaft immer wieder als Vorläufer der Impressionisten abgestempelt wird, entzieht er sich, ganz genauso wie die Fotografie, die leider nicht in der Ausstellung "Camille Corot. Natur und Traum" in der Staatlichen Kunsthalle, Karlsruhe, zu sehen ist. Kuratorin Dorit Schäfer räumt zusammen mit der Ideengeberin Margret Stuffmann und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Maike Hohn mit den Klischees gehörig auf. Sie stellten eine Schau zusammen, die es in sich hat. Hier gibt es einen vielseitigen, differenzierten Blick auf Camille Corot und sein Leben, das 1875 endete. Ein Künstler zwischen Akademismus, Romantik, Realismus und Moderne. Zum Beispiel erfährt man von seiner Passion für Beethoven und Gluck, die sich in den späten Werken niederschlägt. Dann ist hier der Erfinder des "Souvenir" zu entdecken, einer Landschaftsmalerei, die zwar aus der erlebten Wirklichkeit gespeist wird, doch mit Erinnerungen, Historien und Emotionen aufgeladen wird. Die Schau ist mit gut 180 Arbeiten aus aller Welt bestens bestückt. Die Leihgeber, oft aus der Champions League à la New Yorks Metropolitan Museum, waren großzügig. Der Louvre gab beispielsweise seine "Frau mit Perle", die 1868 bis 1870 entstand. Eine Schönheit mit verschränkten Armen: Entspannt, ein wenig in sich zusammen gesunken, sitzt sie da und scheint den Betrachter anzuschauen. Aber nur scheinbar, denn eigentlich stiert sie in sich hinein, sinniert, ist melancholisiert. Das hat mit Impressionismus nicht viel zutun. Corot war zeitlebens unabhängig. Vielleicht die Basis für seine Sonderrolle. Seine Eltern waren erfolgreich im Bekleidungsbusiness tätig. Die Mutter galt als beste Modistin von Paris. Corot stammte also aus wohlhabendem Bürgertum, und Tuchhändler hätte er werden sollen. Trotz der Lehre, die Camille 1815 beginnen musste, stand für ihn schon 1817 fest, dass der Landschaftsmalerei sein Streben gilt. Offiziell konnte er jedoch erst dann befreit malen, als es 1822 tragischerweise zum Tod seiner jüngsten Schwester kam und er nach Neuordnung des Erbes mit einer Leibrente ausgestattet wurde. Dann leistete er sich Italienreisen und war unabhängig von Salonerfolgen und Verkäufen. Vielleicht erklärt das den Blick fürs Reale, der aus seinen Werken rekonstruierbar ist. Corot malte in den 1830er Jahren Männerbildnisse, die belegen, aus welcher Schicht er stammt. Da schauen ungewöhnlich selbstbewusste Charaktere den Betrachter an. Oder eben auch introvertierte Geister. Individuen, keine Rollenspieler. Später sind es dann in der Hauptsache mysteriöse Frauendarstellungen. Die "Algerierin" (um 1870) sieht den Betrachter nicht an. Sie geht in sich, ist melancholisch, geheimnisvoll. Und hier öffnen sich Fenster zu Referenzen aus früheren Jahrhunderten. Man denkt an Vermeers "Mädchen mit der Perle", und die Literatur führt lange schon Leonardos Mona Lisa an. Auch so etwas hat mit dem Klischee nicht viel gemein. Sicher, der Maler, der sich intensiv dem Cliché-verre widmete, einer seltsamen Vervielfältigungstechnik, bei der eine mit Kollodium beschichtete Platte geritzt wird, wonach sie dann als Negativ Fotopapier belichtet, ist eine Schwellenfigur in einer Schwellenzeit, in der nicht einmal mehr Ikonografien als Gesetz dem Künstler Richtschnur sein konnten. Aber er ist eben, das zeigt die wunderbare Ausstellung überdeutlich, nicht nur ein Vorläufer. Dank neuerer kunsthistorischer Ansätze, die sich aus der Emotionsforschung speisen, ist es nun möglich, dem ganzen Corot auf die Schliche zu kommen. Dem Karlsruher Museum ist dies meisterhaft gelungen.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Camille Corot - Natur und Traum
29.09.2012 - 20.01.2013

Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
76133 Karlsruhe, Hans-Thoma-Straße 2-6
Tel: +49 721 926 33 59, Fax: +49 721 926 67 88
Email: info@kunsthalle-karlsruhe.de
http://www.kunsthalle-karlsruhe.de
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 h


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