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100 Tage Exklusivität

Nicht zum ersten Mal ist an dieser Stelle von Zensur die Rede. Wenn es um das Verbieten oder Absagen von Kunstpräsentationen geht, ist häufig die Kirche involviert. In der vergangenen Woche kamen in Deutschland gleich in zwei Fällen Kunst und Kirche einander in die Quere – auf höchst konträre Weise. Zunächst war zu lesen, dass die Kölner Kunststation St. Peter eine Ausstellung von Siegfried Anzinger nun doch nicht zeige, weil darin gekreuzigte Schweine zu sehen gewesen wären. Das verwundert zwar – zumal sich die Institution ein gewisses Renommee aufgebaut hat und zudem, wie Anzinger erzählte, die Verantwortlichen sein Konzept selbst ausgewählt hatten. Andererseits stellt sich dieser Vorfall in eine ganze Geschichte klerikaler Zensur – und kommt also wenig überraschend. Neu dagegen ist, dass eine weltliche Kunstinstitution eine kirchliche einzuschränken versucht, noch dazu eine mit internationaler Geltung: So scheint in Kassel derzeit alles, was nicht zur documenta gehört, unerwünscht zu sein – im speziellen jene Kunst, die von kirchlichen Trägern gezeigt wird. Die Katholiken, denen die Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev ihre Balkenhol-Figur am Kirchturm verbieten wollte, zeigten sich dabei – man muss es leider sagen – weniger kompromissbereit als die Protestanten: So sah sich die evangelische Akademie gezwungen, eine Ausstellung von Gregor Schneider abzusagen. Dieser hätte vor einer Kirche eine Installation errichtet, was den documenta-Machern ein Dorn im Auge war. Bereits zuvor hatte der Geschäftsführer die Kirchen gebeten, während der documenta-Zeit auf ihre Kunst-Aktivitäten zu verzichten. Ohne richtige Begründung, wohlgemerkt. Man muss nicht so weit gehen wie der Kommentator der „Welt“, der sich gleich an Albert Speer und Nicolae Ceausescu erinnert fühlte. Ans Hirn greift man sich jedoch allemal. Einerseits beschweren wir von der Kultur-Bobo-Fraktion uns über Alkohol-, Radfahr-, Spiel-, Herumlunger- und Gastgartenverbote in Städten – und dann versucht eine der weltweit wichtigsten Kunstausstellungen, das Kunstausstellen zu untersagen? Hat die documenta nun 100 Tage Exklusivanspruch auf den öffentlichen Raum? Die noch viel spannendere Frage jedoch lautet: Was teilt uns dieses Vorgehen über den Kunstbegriff von documenta-Chefin Christov-Bakargiev und ihrem Geschäftsführer mit? Nichts Gutes, fürchte ich.
Mehr Texte von Nina Schedlmayer

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