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Mit Zynismus gegen Engagement

Das Ausmaß an Polemik und zynischen Seitenhieben gegen die laufende Berlin Biennale ist einzigartig. Nach harschen Kritiken zur Eröffnung wurde in den Feuilleton Spalten ausführlich nachgeladen: dünne Kunst und wirkungsloses Engagement lautet der Tenor. Das ganze Bashing einfach so beiseite zu lassen, scheint kaum möglich. Doch was, beispielsweise, spricht wirklich gegen jene Intervention im öffentlichen Raum, die neuerdings die Friedrichstraße an deren Südende zeichenhaft durchteilt? Dort errichtete die aus Sarajevo stammende und in London lebende Künstlerin Nadja Prlja kürzlich eine »Friedensmauer«. Die Sperre ruft Assoziationen an die Berliner Mauer wach, verweist aber auf eine neue, ökonomisch bedingte soziale Demarkationslinie. Investitionen in Boutiquen, Luxuskaufhäuser und Restaurants stehen hier nämlich im Kontrast zur extrem hohen Arbeitslosenrate und 70% Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund. Ja sicher, darin liegt eine der Schwierigkeiten für die Kritik: Die 7. Berlin Biennale lässt sich nicht einfach rezensieren, weil sie prozessual angelegt ist und Ausstellungssituationen an mehreren Orten beinhaltet, zu einem umfangreichen sozialpolitisch ausgerichteten Programm einlädt und außerdem mit einer Reihe von Interventionen im öffentlichen Raum vernetzt ist. Zudem ist auch die ausführlich gestaltete Website, deren Besuch hier mit Nachdruck empfohlen sei, zu berücksichtigen. Doch warum sollte es denn nicht legitim sein, dass Anna Jermolaewa zusammen mit dem Aktivisten und Gründer des Centre for Applied Nonviolent Action and Strategies (CANVAS) von der Universität Belgrad, Srđa Popovič, im KW Institute for Contemporary Art am 19. Mai einen Workshop über gewaltfreien Widerstand mit Schwerpunkt zur Diskriminierung von Frauen in osteuropäischen Gesellschaften durchführt? Dabei dreht sich eine zentrale Frage um die Rolle der Kunst und deren kritische Potentiale. Solche Programmpunkte der Berlin Biennale in Kritiken nach deren Mobilisierungsgrad zu beurteilen, ist etwas seltsam. Wer, bitte schön, würde ernsthaft behaupten, ein Symposium, hätte man erst gar nicht abhalten müssen, weil es kein Quotenheuler war und sowieso nur 20 Leute kamen?? Genauso erscheint es doch wohl plausibel, die Länder übergreifenden Protestaktionen gegen die Schließung des Zentrums für visuelle Kultur an der Mohyla-Akademie in Kiew zu unterstützen sowie gegen die dortige Sperre der Ausstellung »Ukrainischer Körper« einzutreten. Am 24. März bereits begannen internationale Demonstrationen unter dem Slogan »Occupy Ukrainian Body – Fight Censorship!«. Wenn die Biennale-Website als Informationsmedium über solche realen Aktionen an verschiedenen Orten konzipiert ist, hat dies symbolische Qualitäten. Erinnert dies nicht an das verloren gegangene Bewusstsein für Internationalismus? Die Gestaltung eines Stockwerks in der Ausstellung jedenfalls geht in diese Richtung. Als Raum füllendes Panorama zeigt eine Vielzahl parallel laufender dokumentarischer Videos in Großbildprojektion Demonstrationen von Protestbewegungen der allerjüngsten Vergangenheit: Filme des Kollektivs Moisreen aus Kairo über die ägyptische Revolution etwa, Filme des österreichisch-tschechischen Künstlers David Rych oder Videos der »Femen«, jener ukrainischer Frauen, die mit nacktem Oberkörper auftretend Aufmerksamkeit erringen, indem sie Transparente an öffentlichen Gebäuden oder Kirchen entrollen und lauthals Parolen gegen Sextourismus, Frauenhandel und überhaupt Diskriminierung von Frauen schreien, was häufig mit Verhaftungen endet. So daneben und wirkungslos wie es so manche der schreibenden Biennale-Scharfrichter hinstellen, sind deren aggressive Proteste auch nicht. Immerhin erhalten die »Femen« und ihre Anliegen in westlichen TV-Dokumentationen gelegentlich soviel Sendezeit wie Julia Timoschenko; nur eben ohne den Bezug zur Fußball-EM. Und auf die belarussische Künstlerin Marina Naprushkina loszugehen, die mit Schlüsselfiguren der kulturellen und kritischen politischen Szene Weißrusslands zusammenarbeitet und seit letztem Jahr die Zeitung »Self # governing« herausgibt, grenzt an Bösartigkeit. Auf der Biennale zeigt Naprushkina Teile ihres international oftmals präsentierten, umfangreichen zeichnerischen Werks auf Packpapier mit dem Charakter von Comics oder Storyboards, in dem sie das autoritäre, patriarchalische System unter Präsident Lukaschenko kritisiert und zugleich gesellschaftliche Alternativen vorschlägt; ein hochinteressanter und konzise gestalteter Bereich dieser Biennale! Wessen Auseinandersetzung mit Marina Naprushkina sich in der Anmerkung erschöpft, eine solche »gigantische Fleißarbeit« (so steht’s in der Berliner Zeitung), würde die Machtpolitiker in Minsk auch kaum zur Einsicht bringen, sollte sich ein paar Folgen der »ZDF Heute Show« ansehen, wo zu lernen ist, dass Kunst erstens Form ist, zweitens die Freiheit hat zu sagen, was sie für richtig hält und drittens sogar für mehr Demokratie eintreten darf. Überhaupt fällt auf, dass manche anlässlich dieser 7. Berlin Biennale ziemlich normative Kunstbegriffe raushängen lassen. Offensichtlich irritiert, dass Biennale Leiter Artur Żmijewski und dessen – auf performative Interventionen spezialisierte – Ko-Kuratorin Joanna Warsza nicht viel von political correctness halten und die Biennale Ausstellung selbst eher unorthodox und visuell unausgewogen gestalteten. Möglicherweise kollidiert da slawische, postkommunistische Mentalität mit einem allzu rigiden Verständnis von Aufklärung auf deutscher Seite. Beispielsweise präsentiert Żmijewski sein eigenes, äußerst umstrittenes Video »Berek« (Fangspiel). Es zeigt eine Gruppe nackter Erwachsener bei einem Kinderspiel in der Gaskammer eines ehemaligen Nazi-Vernichtungslagers und löste eine Debatte über zulässige Bearbeitungen des Holocaust-Themas aus. Parallel dazu startet Lukasz Surowiec seine mit einem Film und 320-Birken-Setzlingen beginnende Aktion »Berlin Birkenau«. Mit entsprechender Aufschrift versehen, werden Borken aus der Umgebung von Auschwitz-Birkenau in Berlin gepflanzt, um auf die geographische Auslagerung des Holocaust nach Polen zu verweisen. Ziemlich eindeutig ist das Werk von Teresa Margolles, das aus seriell gereihten 313 Titelseiten des mexikanischen Boulevardblattes »PM« besteht. Jedes Titelblatt bringt das Foto einer Person, die im Jahr 2010, also in einem einzigen Jahr also, in der Grenzstadt Ciudad Juarez auf grausame Weise Opfer des wütenden Drogenkriegs wurde. No comment! Bloß erschreckend erstaunlich, dass Teresa Margolles in ihrer Arbeit immer wieder solche dramatischen Themen findet. Natürlich wird die Intervention des ehemaligen Bürgermeisters von Bogota, der einlädt, per Unterschrift und Spende eines Blutstropfen jeglichen Drogenkonsums zu entsagen, den Drogenmissbrauch vor Ort kaum verringern, doch in einer Zeit, in der sich nächtliche Partybesucher oft den letzten Dreck oder irgendwelche verschnittenen Tierhormone reinziehen, kann auch so etwas die Bereitschaft signalisieren, für sich eine persönliche Ethik zu formulieren. Es mag sein, dass so manches verbale Statement von Berlin Biennale Kurator Artur Żmijewski zu pointiert daher kommt. Es mag auch sein, dass einige der Occupy-Aktivitäten, für die sich diese Biennale einsetzt den Charakter eines post-alternativen Jahrmarkts haben. Auch gab es schon Ausstellungen mit vielleicht stärkeren, komplexeren politischen Positionen. Und ausgerechnet in Berlin so etwas wie, »Engagement« zu reaktivieren ist auch nicht einfach. Trotzdem stimmt der Tonfall, in dem auf die 7. Berlin Biennale in so manchen Kritiken drauf gehaut wird, nachdenklich. Denn es ist das gleiche tendenziell reaktionäre Muster wie »Sozialneid nach unten«, wenn einer Kunstveranstaltung vorgeworfen wird, wie unbedarft und schwach doch deren politische Aktionen wären, und – zugegebenermaßen kaum durchdachte – Ocupy-Veranstaltungen beinahe schon wie pathologische Fälle beschrieben werden, während man den Pathos irgendwelcher Banker, die tagtäglich irgendwas neues »retten«, weiterhin gelten lässt. www.berlinbiennale.de/blog
Mehr Texte von Roland Schöny

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