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Speedskier und Sportholzfäller: Die Konkurrenz der Kunst

Sollte es Stammleser_innen geben, wissen sie, dass kinderbedingte Freizeitbeschäftigungen bereits mehrmals Anlass für die Ausweitung des Kolumnenblicks über die Kunstgrenzen hinaus waren. Der bildungsbürgerliche Habitus des schreibenden Vaters blieb dennoch intakt, konnte doch zuletzt bei Ritterrüstungen und in der Schatzkammer noch die volle Reichweite des Kunsthistorischen Museums auskostet werden. Doch mit dem gestrigen Besuch der «Robotchallenge», einem Robotikwettbewerb unter Technikstudierenden in der Akademie der Wissenschaften , nähern wir uns jetzt Schritt für Schritt jenen Zonen aktionsorientierter Alltagskultur, denen mittlerweile eine derartig starke Sogwirkung auf die verschiedensten Publikumssegmente zukommt, dass wir sie als neue Aufmerksamkeitskonkurrenz zu jenen Kunst- und Kulturformen erkennen müssen, denen unsere berufliche Hingabe galt und gilt. Dies umso mehr, als die vielfachen Erweiterungen der Kunstbegriffe der letzten Jahrzehnte in einer Art Schubumkehr auch zu einer Kulturalisierung der Spektakel in Technik, Sport und Alltagskultur geführt haben. So konnte man sich beim Beobachten der Bewerbe «Line Follower», «Micro-Sumo» oder «Humanoid Sprint» durchaus an lang zurückliegende ars electronica-Tage zurückversetzt fühlen, als etwa Gruppierungen wie «Survival Research Laboratories» oder die Linzer «Stadtwerkstatt» unermüdlich das Hohelied der Maschinenkunst sangen, und der spätere österreichische São Paolo-Vertreter Leo Schatzl ferngesteuerte Autos in Betonschalen fliegen ließ. Geschichtsvergessen wäre, wer nicht anmerkte, dass das Londoner Symposium «Destruction in Art» auch damals bereits 25 Jahre zurück lag, was uns einen Eindruck von den längerfristigen Verlaufslinien kultureller Arbeit gibt, die in diesem Fall auf die hübsche Pointe zulaufen, dass eine der Teilnehmer_innen von 1966, nämlich Yoko Ono, gerade letzte Woche in Wien hohe Ehrungen entgegennahm. Wir wollen uns jedoch heute nicht der Spektakelähnlichkeit manch aktueller Kunstpraxis widmen – ein Befund, der ohnehin zum Routinerepertoire kulturkritischer Äußerungen zählt –, sondern wir nehmen den Roboterbesuch mit Kleinkind zum Anlass, die Kunstanteile in jenen Spektakeln zu suchen, über die Kunstkommentator_innen angeblich immer nur zufällig stolpern, wenn beim ziellosen TV-Surfen wieder einmal ein «Boarder» einen dreifachen Salto schlägt, oder Motorradfahrer in einer Art von «Brutalo Landart» einsame Spuren durch Wüstengegenden ziehen. Sie haben es erraten: Wir befinden uns in der Welt (dem Staat?) von Red Bull und es verwundert nach dieser Einleitung bereits weniger, dass sich das Magazin des Konzerns mittlerweile neben «Action, Sport, Reisen und Musik» auch für «Kunst» zuständig fühlt. Als Klammer und Untertitel für diese Zusammenführung dient der Anspruch, ein «Magazin abseits des Alltäglichen» sein zu wollen. Als die letzte Ausgabe dieses Journals mit den kinderfreundlichen bunten Fotos letzte Woche wieder einmal gratis der «Qualitätszeitung» beigepackt wurde, erinnerten wir uns an ein Gespräch mit dem Kunsttheoretiker Wilfried Dickhoff, in dem er bezüglich des Überlebens von Kunst im Eventtaumel einer Weltausstellung konstatierte, dass nicht andere Kunstprojekte oder Technikphänomene die stärkste Konkurrenz für das eigene Projekt darstellen würden, sondern die vielen «kunstähnlichen» Phänomene heutiger Alltags- und Wirtschaftskultur. Und fürwahr: Schließt etwa der Plan des «Extremsportlers» Felix Baumgartner, aus der Stratosphäre im freien Fall Richtung Erde zu fliegen, Aspekte radikalerer performativer Praxen mit ein? Erinnert uns der «Sportholzfäller» Arden Cogar an Chris Burden, oder ist es umgekehrt? Die heiße PR-Phase für den Stratosphärenirrwitz startete z.B. mit einem Interview, in dem der Akteur offen über Panikattacken und psychologisches Coaching sprach, womit er nicht zuletzt auch das Bild des «psychologisch Sensiblen», und damit eine Rolle, die ehedem Künstler_innen zugeschrieben wurde, übernahm. In eine ähnliche Richtung, diesmal weniger technoid, aber mit Querbeziehungen zum körperorientierten Aktionismus, lässt sich jene Fotoserie interpretieren, in der unter dem Titel «Mein Körper und ich» sportive Spitzenkräfte posieren, dabei jedoch auch auf ihre Verletzungsgeschichte verweisen. So wirkt jener Speedschifahrer eigenartig zeitgenössisch, wenn er – nahe an Cronenberg und Schinwald – auf jene große Narbe am Arm verweist, «in dem bis zum letzten Jahr Schrauben eingesetzt waren.» Natürlich haben diese in jeder Hinsicht affirmativen Darstellungen nichts mit dem existentiellen Beuyschen «Zeige deine Wunde» zu tun, doch bleibt es dennoch bemerkenswert, mit welchen Strategien es mehr und mehr gelingt, eine vormals verschwitzt-keuchende Männerwelt mit komplexeren Bildern zu überblenden, um sie damit in symbol- und kapitalträchtigere Umgebungen zu überführen. War der Charme bei den Robotern noch eine ziemlich geradlinige Geek-Inszenierung (Elekronikkatalog als Giveaway, billige Wurstsemmeln und Cola am Buffet), ist der Einsatz bei Red Bull höher: Reicht den Technikstudierenden noch ein wenig Musik im Hintergrund, um «Atmosphäre» zu erzeugen, muss es im «Red Bulletin» schon ein Charlotte Gainsbourg-Interview sein, das dazu dient, kulturell auf das folgende Feature über den neuen Ferrari-Fahrer abzufärben. Doch vielleicht ist es ja längst schon umgekehrt, und es ist die intellektuelle Schauspielerin, die die Umgebung von Spitzenkoch, Action und Formel 1-Star braucht, um wahrgenommen zu werden. Wenn dann noch der museumsgeschulte Dreijährige die Kapuzenjacken im Hochglanzinserat als «Rüstungen» identifiziert und kennerisch die Helmformen der Rennfahrer vergleicht, beginnen die Zeichen ohnehin bereits wieder zu tanzen.
Mehr Texte von Martin Fritz

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