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Sophie Hirsch - heut schau ich mir schöne Bilder an damit ich besser schlafen kann : Performative Konzentration aus Plastikfolienmüll

Sophie Hirsch, 1986 geboren in Wien, 2011 Diplom an der Universität für angewandte Kunst in Wien, im selben Jahr Preis der Kunsthalle Wien, im Februar 2012 Einzelausstellung im Projektraum Viktor Bucher; ein rasanter Aufstieg einer Kunst aus Plastikfoliengeschnür, deren materielle Substanz aus mehr oder weniger öffentlichen Müllstätten rührt. - Worauf beruht die Verführung von Sophie Hirschs Baufolienmüllgeflechten? Auf der Wiederverwendung des Materials Müll? (Recycling-Kunst ist doch längst nicht mehr der letzte Schrei?) Auf dem nachvollziehbar langwierigen Prozess in der eigenhändischen Herstellung der gedrehten Seile? Auf der ungewöhnlichen und daher mutigen Größe ihrer Skulpturen? Sind es denn Skulpturen? Die Arbeiten von Sophie Hirsch sind in erster Linie Körper, die vorwiegend von markanter Materialverarbeitung geprägt sind. Die Künstlerin verarbeitet gebrauchte Plastikfolien nach der traditionellen handwerklichen Methodik und Technik des „Torser“, wie sie es in Peru erfahren hat. Material, das sich schlichtweg im näheren Umfeld findet, wird in einem langwierigen Prozess händisch verarbeitet, gezwirbelt und verflochten. Vordergründig wird das Ausspielen von Kapazitäten ein und desselben Materials ansichtig: ein eigenartiges Pendeln zwischen der hautähnlichen Transparenz und vor allem Transluzenz der Plastikfolie und der manifesten Körperlichkeit derselben in gebündeltem Zustand; ein Oszillieren, das im zentralen Exponat (wie die beiden anderen „ohne Titel“ bezeichnet) bei Viktor Bucher zur raumgreifenden statischen Performance gesteigert ist. Die Folie ist in unterschiedlichen Intensitäten zu Seilen und schweren Tauen physisch verdichtet und im Weiteren zu einem voluminösen massigen Körper zusammengerafft. Das Ganze ist in barocker Opulenz, dabei in durchdacht unordentlicher Anordnung angehäuft und mittels eines Aluminiumrohrs in die Höhe und an die Wand gepresst. Die unabdingbare Unmittelbarkeit der Arbeit basiert auf dem verstärkten Auftreten eines performativen Moments. Es ist eine Wiedergewinnung des Prozesshaften, das in der Heterogenität der Präsentation des Ganzen geschieht. Der offensichtlich konsequente und bis ins Detail äußerst disziplinierte handwerkliche Arbeitsprozess des Seilknäuels, auch dessen reichhaltige scheinbare Unordnung, wird in der vorgeblich lapidaren Aufstellung mittels eines unbehandelten Alurohrs kontrastiert und in eine höhere Wertigkeit und Relevanz gestemmt. Das offensichtlich massige Gewicht ist von dieser improvisatorisch anmutenden Montage zwischen Wand und Boden, also in einen vermeintlich willkürlich bestimmten Schwebezustand, eingeklemmt. Die suggerierte Labilität der Balance erzeugt den Eindruck von Flüchtigkeit der Setzung, das konstante Spannungsverhältnis zugleich eine theatralische Dramatik. Diese vehemente physische Manifestation von transitiven Momenten erfährt in den beiden anderen Exponaten von Sophie Hirsch im Projektraum eine klare Deklination. Objekt „ohne Titel“ (beschriebenes #3) ist von aktiver raumgreifender Präsenz, „ohne Titel“ (#2) hat dasselbe hübsch verpackt und „ohne Titel“ (#1) ist ganz etwas anderes – eine schöne Dramaturgie: In „ohne Titel“ (#2) ist das Müllkunstwerk als innerer Kern mit frischen halbtransparenten Industrieplastikwänden abschirmend verhüllt, als eigener heterotyper Raum definiert. Die üppige Physikalität entzieht sich zunehmend zugunsten einer optischen Dominanz der Oberfläche. Eine latente Sentimentalität macht sich dementsprechend verstärkt bemerkbar und gewinnt an Relevanz. Es ist auch ein Spiel mit und für den optischen Effekt, denn mit der Haptik geht die starke Gegenwärtigkeit der vorher noch spürbar vorhandenen Aussage verlustig, ein Prozess, der in der Black Box mit dem Exponat „ohne Titel“ (#1) gesteigert ist. In der Black Box ist das potenzielle Volumen der verwendeten Kunststofffolien rigoros in die Fläche ausgebreitet. Die weitere Reduktion der physischen Präsenz macht einem optischen Illusionismus Platz. Das Ergebnis ist die vage Undefiniertheit einer der räumlichen Gegebenheit gänzlich angepassten Struktur. Die Eigenart der Installation („o.T.“ #3) ist nach außen tretend, hat somit etwas spezifisch Öffentliches, in der umhüllten Form („o.T.“ #2) tritt dies mit der Ausstrahlung des Privaten auf, in der Version „o.T.“ in der Black Box (#1) hat es die des Intimen. Der einprägsame, spannungsreiche Auftritt von „o.T.“ (#3) eignet der jungen Künstlerin bei weitem am besten. Sophie Hirsch selbst wehrt sich gegen die Etikettierung als Recycling-Kunst. Denn so trashig und trendig Müll-Kunst sein mag, impliziert der Begriff für die Künstlerin eine ikonologische Verkürzung der künstlerischen Aussage. Sophie Hirsch will sich nicht in diese ideologische Ecke abdrängen lassen – und ihr Werk lässt dies tatsächlich auch gar nicht zu. Jedwede farbigen Aufdrucke oder Logos, die auf die vorangegangene Funktion als Verpackung weisen, sind vermieden. Die spezifische Eigenschaft als Müll ist auf die der Erinnerung als Spuren seiner Vergangenheit reduziert, auf die Reminiszenz des Verschmutzungszustandes und der Gebrauchsspuren. Die differenten Nuancen der Transparenz rücken das Material einer malerischen Immaterialität entgegen, die Sophie Hirsch kompositorisch nutzt und akzentuiert einsetzt. Ihr Müllmaterial ist auch ideell zu Kunstmaterial transmutiert. Das Resultat im Projektraum von Viktor Bucher bezeugt deutlich spürbare Referenzen auf die puristische Ästhetik der Kunst der 60er Jahre: Es ist weniger die Konzeptualisierung der Minimal Art, als vielmehr die klare Konzentration auf eine selbstreflektive Objekthaftigkeit, die außerkünstlerischen Kontext nur beiläufig impliziert und die der Arte Povera eigen ist, zu welcher die Künstlerin ihre Affinität auch offen bekennt. Indem die Aufmerksamkeit überwiegend auf die Materialität und deren Bearbeitung und Verarbeitung gelenkt wird, generiert Sophie Hirsch de facto weniger eine Ästhetisierung der Form als eine primäre Ästhetisierung des Materials. Diese Materialästhetik ist auch das künstlerische Mittel, das die Verweigerung der spezifischen Dogmatik, des obligaten Kritikpostulats, was der sog. Recycling-Kunst anhaftet, manifest und möglich macht. In Effizienz drängt die Dominanz der Materialästhetik eine explizite sozio-politische oder ökologische Kritik repressiv ab auf ein alludierendes Partizipieren an der Thematik. Die provokative Potenz der Recycling-Kunst ist durch eine werkimmanente Dynamik ersetzt. Der evidente Rückgriff auf die Kunst der 60er Jahre wird von Sophie Hirsch über die explizite Verwendung von up-to-date-Material umformatiert zu einem eigenen zeitgenössischen Statement. Der im Formalen liegende, innerkünstlerische Inspirationsbereich scheint allerdings ausgeschöpft und könnte in konsequenter Weiterverfolgung zu formalistischem Ästhetizismus abrutschen. Zugleich birgt der Grad, in welchem das rückbezügliche Objekthafte von Sophie Hirsch’s Werk auf sich selbst verweist, in äquivalentem Maß eine Vakanz, die positiv als ideeller Freiraum verstanden werden kann. Die aktuelle Arbeit impliziert die emphatische Möglichkeit einen erweiterten, außerkünstlerischen Kontext zu involvieren, mit heterogener Sinngebung aufgeladen zu werden und an Tragweite und Gewicht der künstlerischen Argumentation zu gewinnen. Und dieses Moment kann als intensives und expansives Potenzial der jungen Künstlerin gesehen werden.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Sophie Hirsch - heut schau ich mir schöne Bilder an damit ich besser schlafen kann
16.02 - 17.03.2012

Projektraum Viktor Bucher
1020 Wien, Praterstraße 13/1/2
Tel: +43 676 561 988 0
Email: projektraum@sil.at
http://www.projektraum.at
Öffnungszeiten: Di-Fr 14-19, Sa 11-15 h und nach tel. Vereinbarung


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