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Utopie Gesamtkunstwerk: Gequälter Begriff

Das große Gesamtkunstwerk, das alle Gattungen der Kunst zu umfassen hat, um jede einzelne dieser Gattungen als Mittel gewissermaßen zu verbrauchen, zu vernichten zu Gunsten der Erreichung des Gesamtzweckes aller ...“ „... denn im Kunstwerk werden wir Eins sein...“ Richard Wagner Der Begriff des Gesamtkunstwerks wird allgemein mit dem Namen Richard Wagner, dem Wiener Fin de Siècle – und der epochalen Ausstellung von Harald Szeemann 1983 in Verbindung gebracht. Dieser versammelte in Der Hang zum Gesamtkunstwerk u.a. Projekte von Schinkel, Gropius, Tatlin, Beuys, Duchamp, Lang, Nitsch, Cage und Artaud, verschiedene kulturpolitische und künstlerische Manifeste, setzte ideelle Bezüge zur französischen Revolutionsarchitektur wie zum Ästhetizismus des dritten Reichs, thematisierte dessen Verständnis als StaatsGesamtkunstwerk. Szeemann entwickelte ein komplexes Geflecht unterschiedlichster visionärer Phänomene mit kritisch reflektierenden Betrachtungen aus diversen disziplinären Perspektiven. Kunst und Kultur aller Sparten, Politik, Soziologie, Ideologie und Philosophie wurden auf den Begriff Gesamtkunstwerk fokussiert und dessen affektive Bedeutung wie effektive Irrealität veranschaulicht. – Und dann erregte keine 20 Jahre später der inzwischen verstorbene Karlheinz Stockhausen (der mit seinem Werk selbst ein Gesamtkunstwerk angestrebt hatte) mit seiner Äußerung anlässlich der Terroranschläge in den USA 9/11 allgemeines Entsetzen in der Öffentlichkeit: „Das ist das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos.....“ – grausig reale Umsetzung von Antonin Artauds Theater der Grausamkeit, dessen „Idee des Theaters, die nur in einer magischen, furchtbaren Verbindung mit der Wirklichkeit und mit der Gefahr Gültigkeit besitzt“, in terroristisch pervertierter Konsequenz auf der globalen Bühne der TV-Bildschirme? – Der Begriff Gesamtkunstwerk war wieder aktuelles diskursives Thema. Nun hat Agnes Husslein ihre erste Ausstellung im sogenannten 21er Haus unter dem Titel Utopie Gesamtkunstwerk eröffnet: Nichts von solchen Apokalypsen im 21er Haus. Keine infernale Inszenierung oder immersive Mediengestaltung drängt der/dem BesucherIn die zwangsläufige Nähe des Konzepts Gesamtkunstwerk zum Totalitarismus auf. – Kann auch gar nicht sein, denn Ganzheitlichkeit, Verschmelzung oder Ineinanderfließen sind in der Präsentation im 21er Haus dem Fragmentarischen gewichen, von den KuratorInnen proklamatorisch vertreten wie tatsächlich passiert. Die Widersprüchlichkeit in dieser Annäherung an das Thema verwirrt. Umso deutlicher tritt die Notwendigkeit einer verständlichen begrifflichen Definition dieses strapazierten Prinzips Gesamtkunstwerk hervor. Was wären seine grundsätzlichen Kriterien? Theoretiker sind – oder waren – sich mehr oder weniger einig: Das Gesamtkunstwerk konstituiert sich als eine Synthese mehrerer Künste. Als solche basiert es auf einem alle Teile umfassenden theoretischen Fundament. Es steht für eine in sich geschlossene, totale Weltsicht, zukunftsgerichtet, mit Konzentration auf die Kunst. Historische Beispiele, die diesem Konzept weitgehend subordiniert werden können, wurden schon von Szeemann 1983 präsentiert – und zum Teil auch in der aktuellen Ausstellung zitiert: das Orgien Mysterien Theater von Hermann Nitsch, die Aktion 7000 Eichen von Joseph Beuys, Wagners Ring der Nibelungen, hier in der Szenografie Fritz Wotrubas. Diesen klassischen Exempeln sind nun zeitgenössische Werke gegenübergestellt. Und diese scheinen die oben definierten Ansprüche nicht erfüllen zu können – oder zu wollen. Ihr Focus ist augenscheinlich ganz anders konzentriert: Franz Wests Lemure soll den Gegenpart von psychischer Innen- und materieller Außenwelt versinnbildlichen; SUPERFLEX spielt in der Filmarbeit The Financial Crisis (Session I-V) auf die globale Finanzkrise und die darin verhaftete individuelle Existenz an; Martin Kippenberger verschiebt mit Alt Wien, Großplakat örtliche und zeitliche Konstanten, indem er sein Atelier in das Café transferiert und dieses als Element in seine Arbeit integriert; Gelatin untergraben mit der Aktion B-Thing den Perfektionismus und Machtanspruch von Architektur. Die Arbeiten stellen jeweils für sich ein eigenes geschlossenes Ordnungssystem mit durchaus brisanten Fragestellungen an die Kunst und ihre Relevanz dar; sei es als hermetisch auf sich selbst bezogenes Kunst-Objekt oder als Schnittstelle zu aktuellen Problematiken unseres Daseins in seiner zeitbedingten Determiniertheit. Aber bezieht sich ein solches Werk dadurch auf den Terminus Gesamtkunstwerk? Eine zentrale Bedeutung scheint in der kuratorischen Auswahl der Exponate dem Ausloten von Grenzbereichen der Kunst beigemessen zu sein. Diese Grenzüberschreitungen finden auch statt, in Paul Mc Carthys gesellschaftskritischen Allegorien Basement Bunker, in Franz Grafs Installation aus DERR SCHRECKEN JEDOCH VERMEERTE MEIN INTERESSE, genauso wie in Christoph Schlingensiefs Lungenbild (SEIN). Und wieder stellt sich die unausweichliche Frage: Wird an dieser Kategorie der Transgression das Gesamtkunstwerk manifest oder, um es weniger ausschließlich zu formulieren, prinzipiell angesprochen? Wäre ein solcher Standpunkt nicht viel mehr eine plumpe Verkürzung der signifikanten Komplexität des gesuchten Gesamtkunstwerks? Jedenfalls sind die einzelnen Kunstwerke grenzüberschreitend in ihren spezifischen Aspekten, jedes für sich –in seinem eigenen Kubus von Esther Stockers Ausstellungsarchitektur – sprichwörtlich eingekastelt. Die Arbeiten erweisen sich als thematisch vereinzeltes Nebeneinander. Ein über diese Kästen hinweg greifendes ideelles Ganzes wird nicht fassbar, die verbindende Synthese sucht man vergeblich. Liegt diese Problematik am zeitgenössischen individuellen Kunstschaffen, das sich grundsätzlich der Totalität Gesamtkunstwerk diametral gegenüber positioniert? Liegt es an der optisch wie faktisch abgrenzenden Präsentation in den schwarzen Kuben? Oder liegt es an der Kompetenzlosigkeit der RezipientInnen? Oder ist es der Begriff des Gesamtkunstwerks, der das aktuelle künstlerische Selbstverständnis kaum tangiert, vielmehr schlicht verfehlt? Ist die Idee Gesamtkunstwerk, weil (wie der Titel der Ausstellung ja besagt) Utopie, also obsolet? Und wie verhält es sich dann mit der Dringlichkeit eine Ausstellung programmatisch unter dieser Hypothese zu präsentieren? Oder soll die vorliegende Paradoxie neue Überlegungen provozieren, Anregung sein zu einer Neudefinition des Begriffs Gesamtkunstwerk? Wenn auch nicht verwegen oder vorschnell neu definiert sein soll, dann aber doch sicher diskutiert (zumal das 21er Hauses doch mit seiner Umbenennung progressiv in die Zukunft weisen will!). Was soll dann der Ausgangspunkt einer neuen theoretischen, einer adäquaten Annäherung an das Prinzip Gesamtkunstwerk sein, wenn nicht das zeitgenössische Kunstgeschehen? Solches könnte man von der Ausstellung im 21er Haus erwarten. Doch wird man dort (wie schon angedeutet) nur fragmentarisch mit zeitgenössischer Kunst konfrontiert: Zum Einen reduziert sich die Schau auf ein ziemlich radikal durchgezogenes Verweissystem. In dieser Hinsicht ist Daniel Burens Fiche technique ein plakatives Beispiel. Seine umfassenden Raumgestaltungen, mit welchen er zumal ganze Stadtteile imprägnierte, sind mittels eines gestreiften Teilstücks repräsentiert, das im 21er Haus als Tafelbild an der Wand baumelt, also mit gegenteiliger Wirkung der ursprünglichen künstlerischen Intention. Zum Anderen lässt die Auswahl der Exponate bezüglich der künstlerischen Praktiken eine spannende Vielfalt vermissen. Die sich als ein Schauplatz für die Idee Gesamtkunstwerk anbietende Architektur bleibt auf die rudimentäre Präsentation von Hollein und Pichlers Radikalarchitektur (von 1963!) beschränkt. (Dabei gäbe es doch jüngere, herrlich gigantomanische Konzepte von ganzen Lebenswelten, utopisch und doch realisiert.) Performatives, Musikalisches, Theatralisches, Multimediales, Ideologisches tritt, wenn überhaupt, nicht in unmittelbarer Aktion auf, sondern ist als dokumentarisches Material nur im übertragenen Sinn präsent. Die provokative Kraft der rebellischen Auftritte und Eingriffe von Gelatin ist auf wenige Fotos gebannt, wie die Interventionen Burens zum Bildchen geschrumpft. Es mögen die Eigenheiten des Raums, mangelnde finanzielle Mittel oder die Unmöglichkeit technischer Umsetzbarkeiten eine abträgliche Rolle in der Ausstellungsrealisierung gespielt haben. Aber, die Frage stellt sich: an der-artiger Vermittlung künstlerischer Inhalte soll sich ein ernstzunehmender und lebhafter Diskurs um die Aktualität des Gesamtkunstwerks entzünden? Die Schau bietet eine Fülle diverser Aspekte eines möglichen (offensichtlich aber selbst Wagners Prämissen nur mangelhaft umfassenden) Kunstverständnisses. Auch ist weder eine diese Kunst-Splitter synthetisierende Vision als tragfähiges Konzept klar erkennbar (wie es jede thematische Ausstellung erfordert), noch die tatsächliche Relevanz oder auch nur präzise definierte Relation des Gezeigten zum propagierten – und erneut gequälten – Titel. Es fehlt die konsequente Kontextualisierung. Die Ausstellung ist in einem Sinn, der nicht intendiert ist, utopisch, ob es das Gesamtkunstwerk aus aktueller Sicht sein muss, bleibt unbeantwortet.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Utopie Gesamtkunstwerk
20.01 - 20.05.2012

Belvedere 21
1030 Wien, Schweizergarten/Arsenal-Straße 1
Tel: +43 1 795 57-0
Email: info@belvedere.at
http://www.belvedere21.at
Öffnungszeiten: Mi-So 10-18 h, Mi, Fr bis 21 h


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