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Lust am Overkill

Die Art Miami und die Satellitenmessen der Art Basel Miami Beach behaupten sich Wie viele Messen kann man in fünf Tagen besuchen? Die Routinière schafft acht. Mehr ist kaum drin. In Miami Beach und Miami hat es heuer aber wieder mehr als ein Dutzend gegeben. Es sind nicht mehr ganz so viele wie früher, als es auch schon einmal 27 (!) Kunstmessen waren, aber immerhin. Das muss etwas mit der Lust am Overkill zu tun haben. Nur: Wer bezahlt das alles? Sagte John Lennon doch so schön: „You might well arsk.“ Mit „r“. Wie auch immer, die Art Miami hat eine blendende Verwandlung durchgemacht, von der lokalen Graumaus im Jänner zur großen amerikanischen Messe mit internationalen Gästen parallel zur Art Basel Miami Beach (ABMB) im Dezember. Das Qualitätsniveau ist zu achtzig oder gar mehr Prozent das Gleiche wie auf der ABMB. Und von daher ist es gut, dass weitere Veranstaltungen das Hauptereignis ergänzen, dass nicht alles nur durch den engen Blickwinkel eines einzigen Zulassungsausschusses gesehen wird. Vielfalt ist doch cooler. Auf der Art Miami wurde auch Kunst gekauft, sogar recht lebhaft. Nicht, dass den Ausstellern die Kunst aus den Händen gerissen wurde, aber zufriedene Gesichter jenseits der Guten Mienen zum bösartigen Spiel gab es dennoch. Sagte der New Yorker Galerist Mike Weiss :“Schon von Anfang an war es gut.“ Ein Blickfang auf seinem Stand: Kim Dorlands in megadicker Ölfarbe gefasstes Porträt seiner Frau, „Lori“, um 10.500 Dollar. Zufriedenheit auch bei Lausberg Contemporary (Düsseldorf und Toronto), wo vor allem die Hinterglasbilder von Michael Burges und die Metallfaltskulpturen von Herbert Mehler für Druck auf die Augen sorgten. Michael Schultz (Berlin, Beijing, Seoul) meinte zum artmagazine.cc: „Die Art Miami ist eine tolle amerikanische Messe; sie wird immer besser. Sie ist ein wenig voll, aber auf hohem Niveau – und das macht Spaß.“ Und bringt Geld, denn Schultz konnte verkaufen, etwa einen der mehrschichtigen Transparentkästen des Koreaners Bong Chae Son mit auf Scheiben gemalten Gehölzen. Was den Ausstellern weniger Spaß macht ist der Reservierungsmissbrauch. Da kommen aufschneiderische Angeber, denen man ihren fiesen Charakter nicht ansieht, daher und reservieren Werke für 120.000 Dollar, die dadurch eine Zeit lang dem Markt nicht ohne Weiteres zur Verfügung stehen. Und ihr Versprechen, am Abend vorbeizuschauen machen sie auch am nächsten Tag nicht wahr. Der Galerist leidet dann durchaus unter verpassten Chancen. Dass das kein Zufall ist, zeigen Fälle, wo gleich vier Reservierungen auf ein Werk (zum Verkauf nach first come, first served) sich in Luft auflösen. Da müsste man sich etwas überlegen, wie ein Reservierungspfand oder so etwas. Und neuerlich ist immer auch einmal Ruppigkeit angesagt. Klettert ein Kind auf einer Skulptur herum, der Galerist (aus Deutschland) macht die Eltern darauf aufmerksam, dass das auch für den Fratz gefährlich sein kann – und wird keifend als Nazi beschimpft. Die Art Miami ist ihrem Charakter nach eine Messe für das Zeitgenössische, aber etwa bei Leslie Smith, hat’s auch modernes, etwa ein Mosaik von Marc Chagall. Bei Terminus aus München verkaufte Galerist Willi Grusdat Post-Pop-Bilder und -Skulpturen vom höchstselbst anwesenden Heiner Meyer, unter anderem eine Mickey Mouse in 3D (8er; 12.500 Dollar), einen Keith Haring um 1,2 Millionen Dollar und einen Tony Cragg um 400.000 Dollar. Putziger Blickfang: Niki de Saint Phalles bunte Katze, die als Blumenständer designt wurde (um 180.000 Dollar). Und, zum Schreien: Bei Braunbehrens (auch München) macht sich Daniel Cherbuin aus der Schweiz in Mixed-Media-Werken, Video inklusive, über die populäre Idee von Kunst lustig. Er zeigt Leute, die einer Sendung von Bob Ross, dem Profi unter den Hobbymalern, zusehen. Na dann happy painting und God bless … Ach so: Aus Österreich war niemand dabei. Das war auf der „Pulse“ wenig anders. Ernst Hilger (Wien) gehört zwar zu den Mitbegründern der Messe, einst entstanden durch die Initiative von Breakaways der ABMB. Aber er ist der Einzige, der dort Rotweissrot hoch hält. Unter anderem mit einem in Venedig viel beachteten installativen Werk von Anastasia Khoroshilova, das 2012 im Kunsthaus Baselland (CH) ausgestellt werden wird. Und durch die Leuchtkästen von Angel Marcos. Die Pulse ist qualitativ immer dichter geworden und einer der wichtigen Anlaufpunkte für Sammler. Gediegen-Arriviertes hängt, steht und liegt hier neben ganz Frischem. Auffällig: Jürgen Klauke mit einer fünfteiligen Foto-Arbeit (3er Auflage, 40x30 cm) aus dem Jahr 1974, die ihn im Netzbody mit aufblasbaren Puppenbeinen zeigt, zu sehen bei Anita Beckers /Frankfurt am Main) und Philip Lachenmann, der bei Andreas Binder (München) gut ging. Er macht Lightjet Prints hinter Plexi, Studien in Grau: „Study in Grey: Surfer“, piktorialistisch, fast schon wie Whistler. Das scheinbar rückwärts sehende erweist sich als progressiv, wohingegen „Progressive Youth“, ein Gemälde von Tim Okamura, bei Lyons Wier (New York) zu sagen scheint, dass progressive Attitüden echt retro sein können. Lieblinge sind, bei der Mark Moore Gallery aus Culver City, CA, die stillen pop-surrealistischen Arbeiten von Jeremy Fish und die Fotorealismen von Yigal Ozeri. Thomas von Lintel (New York) gab dem artmagazine.cc folgende Messebewertung: „Eine richtig gute Messe. Die Räumlichkeiten sind hervorragend, die Qualität der Galerien sehr erwachsen – und sie hat mit 75 Ausstellern die richtige Größe.“ Pièce de résistance auf von Lintels Stand: Die 60x51 Zoll große Conté-Zeichnung von Joseph Stashkevetch (um 38.000 Dollar). Zur Frische-Abteilung „Impulse“ hatte man Schuebbe Projects (Düsseldorf) eingeladen (Christa Schuebbe stellte auch auf der Art Miami aus), und sie präsentierte ihren Jungstar, den Neo-Stimmungsimpressionisten Christian Schoeler. Seine neue Figuren-Serie zieht, auch in der Faktur, vor Cézanne den Hut (große Formate um 25-30.000 Euro). Die übel beleumundete „Red Dot Art Fair“ hat ihren Ruf zurecht. Das Meiste, was da gezeigt wird, ist Kunst für Leute, die Kunst nicht mögen. Schaurig. Aber keine Ausnahme ohne dazugehörige Regel. Der in New York arbeitende Italiener Carlo Sanpietro zeigte eine große Installation zum Thema Überbevölkerung. Er stellte ein Popcorn-Gerät auf, ließ auf dem Boden aber keine Maisstärkekrümel zurück, sondern kleine Plastikhündchen. Überbevölkerung also auch bei Hunden. Heuer war die NADA, ganz anders als 2010, auch nicht gerade berauschend. Der Lichblick hier: Jimmy Trotters 8500-Dollar-Installation ohne Titel (aus Plastikspielzeugen) bei der Ada Gallery (Richmond, VA; verkauft). Ja, und die Déja-vu-Sause bei The Hole aus New York, die ihren Stand in zwei in etwa spiegelverkehrte Kojen aufgeteilt hatten. Faszinierend, hätte Mr Spock gesagt. Den frischesten Eindruck machte und viel Begeisterung auslösen konnte die Scope. Die war schon im Sommer zu Basel ein Glanzlicht, und man hätte die halbe Scope in die jungen Abteilungen der ABMB verfrachten können – das hätte der Altbackmutter gut getan. Aber so richtig. Umwerfend die an die ehrwürdigen Vorschatten (Lexx– The Dark Zone, 1990, Paul Donovan) erinnernden Hirnfrösche von Emilio Gracia („United Brains of the World“). Und eine melancholische Botschaft: Alle sitzen im Kreise vereint und keiner springt (Black Square Gallery, Miami). Leonard Nimoy (Ja, da ist er, der Mr Spock) ist ja zum terrestrischen Fotokünstler mutiert. Er hat eine offenbar unausrottbare Vorliebe für sehr dicke Frauen (was man 2010 in Köln auf der Art Fair 21 schon sehen konnte), und seine neue Serie mit eher unerwarteten Inszenierungen à la „Mann spielt E-Gitarre in Unterhosen“ dominierten den Stand von R. Michelson (Northampton, MA). Ganz Neues gab's vom bisher so meditativen Poeten Lee Lee-Nam aus Korea. Bei der Nine Gallery aus Gwangju einer seiner Videokästen, aber statt Schmetterlingen fliegen nun schwarze Silhouetten von Kampfhubschraubern durch die Gegend, statt fallenden Blütenblätter hat’s Fallschirmspringer. Beeindruckende Kunst. Die gab es auch bei Lukas Feichtner (aus Wien), der eine Solo-Show mit den Etüden in Weiß von Udo Nöger präsentierte. „Es läuft sehr gut. Hier kaufen große Sammler“ sagte er. Eher Lowbrow (aber dafür auch ganz toll) zeigt sich das Programm der Red Truck Gallery aus New Orleans. Hier wie immer der Star: Byan Cunningham mit seinen farbigen flachen Reliefs, die exquisite Geschichten erzählen. Auch Lowbrow: Die (in Mengen zu je 5-600 Dollar verkauften) Mini-Bilder von Isabel Samaras bei Varnish Fine Art (San Francisco). Schön in poetischer Absurdität schwelgend zeigte sich wieder Yuh Sunkoo, bei der Mindy Solomon Gallery (St Petersburg, FL), und das in farbig bemaltem Porzellan. Integriert in die Scope war wieder die Art Asia als kompetenter Blick in die aktuelle Kunstproduktion in Asien. Schluss-Schmankerl: Die Entdecker-Messe Aqua auf der Collins Avenue in South Beach. Fast alles dort sehr experimentell, frech und unbekümmert, also gut. Vor allem der New Yorker Greg Haberny mit seinen ironischen Untergrund-Kommentaren zur Weltlage und zur Situation des Individuums. „Strike Me“ – eine Dose mit Totenkopf und Streichhölzern – wer zündelt, wird die Welt verbrennen. Schaurig, wahr und schön.
Mehr Texte von Gerhard Charles Rump †

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