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Christian Schwarzwald - Gemein: Gemeinheit und Gemeinschaft

Zeichnung ist das nackteste und erste Bildschaffen der Welt. In der Linie gibt sie dem Körper, den sie zeigt, Raum – Raum, der gesehen werden kann und dennoch und sofort seine völlige Erfundenheit demonstriert und behauptet. In der großen Ausstellung „Gemein“ zeigt Christian Schwarzwald Zeichnungen auf der Wand und verschiedenen, bis zu Matratzengröße reichenden Papieren. Es sind Zeichnungen von Geländerrohren, Gesichtern und Wesen wie Form, Getümmel, Knoten, Hybride oder Multiplus-Sensationen. Das gemeine Geländerrohr oder den gemeinen Stahlpfosten findet man im mobilen Barrikadenbau genauso wie an neueren Treppen- oder Balkoneinfassungen. Schwarzwald konstruiert gezeichnete Geländerrohre zu emblematischen Graphen, die durch dezente Schatten höflich vor dem Weiß der Papiere bzw. Wände schweben. Manche sind baustellengemäß rot-weiß gestreift, aber die Streifen halten sich nicht durchgängig an normgerechte Ränder und fransen gelegentlich fleckig aus. Eine Wandzeichnung zeigt ein rechteckiges Gebilde, in dem von links unten ein Dreiecksschenkel Strahlen nach oben und an die rechte Seite führt. Das Gelb in „Gemein“ ( Acryl, 240x390 cm), quasi eine symbolisch sonnige Geländerrohranlage, sticht fies ins Grün und erscheint eher grell als gülden. Das Gefühl, dass die Unechtheit der Strahlen beruhigend vor Hautkrebs schützt, ist berechtigt. Die Portraitserie der „Komplizen“ umfasst 100 Blätter und ist mit Scheren, Messern und sehr großen Nägeln an die Wand gerammt. Die Zeichnungen präsentieren einen sich und dem Künstler fortdauernd ähnelnden, bärtigen Männerkopf und könnten die Frage aufwerfen, ob hier eine Dekonstruktionsübung des männlichen Subjekts vorgeführt werden soll. Dagegen spricht der Titel der Arbeiten und die Intaktheit der gezeichneten Gesichter - Papier blutet bekanntlich nicht. Komplizenschaft meint eine kameradschaftlich aufs gemeinsame Kriminelle hin angelegte Beziehung, eine Gruppe von der Art des Ali Baba mit den 40 Räubern – hier also Christian Schwarzwalds 100 Komplizen, ein hinreichend kompliziertes Komplott, vor dem man sich über die Ähnlichkeit und Unähnlichkeit der Gesichter wundern kann. Die 59 im hinteren Raum angebrachten Arbeiten präsentieren maximale Spreizwerte und alle Elemente von Zeichnungen: flüsterndes Grau, markige Schwarzspuren, Wischweiß, Grobkörniges, Samtdunkles, Lichtfleckiges und staunenswert viele andere Phänomene. Der Raum, dessen Idee bei allen großen Zeichnenden dieser Welt verschieden, geheimnisvoll wie ein guter Mythos und persönlich wie das Streicheln einer Hand an einer fremden Wange auskommt, speist sich bei Schwarzwald aus der Gemeinschaft wie auch der Eigenheit seiner Zeichnungen. Das serielle Vorgehen kontrastiert mit dem besonderen, einzigartigen Duktus des jeweiligen Blatts: Schwarzwald ist keine Fabrik, die produziert. Er ist ein Mensch, der zeichnet und begreifbar macht, dass die älteste und nackteste Vorgehensweise dieser Spezies, was Bilder betrifft, den Raum reicher macht, in dem man sieht und mit dem man sieht.
Mehr Texte von Charles Nebelthau

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Christian Schwarzwald - Gemein
14.12.2011 - 10.03.2012

Krinzinger Schottenfeld
1070 Wien, Schottenfeldgasse 45
Tel: +43 (1) 512 81 42
Email: krinzingerprojekte@gmx.at
http://www.galerie-krinzinger.at/projekte
Öffnungszeiten: Mi-Fr: 15-17h
Sa: 11-14h


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