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Kontakt Sofia: Kulturwüste mit internationaler Versorgung

Auf dem Flughafen in Wien findet sich kein Reiseführer über Sofia, also ist bereits vor der Ankunft, die Stadt ist kein Touristenziel. Was die Kulturproduktion anbelangt, so entspricht die institutionelle Infrastruktur Sofias nicht den Anforderungen der aktuellen bulgarischen Kunstszene. Wie in anderen süd- oder osteuropäischen Ländern hängen Aktivitäten vor Ort von künstlerischen und kuratorischen Eigeninitiativen ab, die mit Hilfe von internationalen Sponsoren diverse Kulturprojekte betreiben. Eine wichtige Plattform für bulgarische und internationale KünstlerInnen bildet das ICA (Institute of Contemporary Art Sofia), dessen Direktorin Iara Boubnova kritisch Einblicke in die offizielle Kulturpolitik gibt. Das im Juni eröffnete Museum für zeitgenössische Kunst hält unter dem Logo Samca (Sofia Arsenal Museum of Contemporary Art) nicht, was es verspricht. Wer eine Sammlung zeitgenössischer Kunst erwartet, ist mit gähnender Leere und inhaltlicher Orientierungslosigkeit konfrontiert. Auf der Website wurde nun eine Umfrage dazu gestartet, was das Museum sammeln soll, doch das Interesse selbst von Seiten der Künstler hält sich in Grenzen. Als 1,5 Millionen Euro-Projekt folgte im September 2011 als Ausdruck kulturpolitischer Diffusität die Eröffnung des Museums für sozialistische Kunst. Der Besucher trifft hier auf totalitäre Kunst in einer unreflektierten Zusammenstellung. Der kritische Diskurs ist in diesen Räumen definitiv noch nicht angekommen - das Museum als Ort der Geschichte verkommt zu einer Verleugnung der Gegenwart. Wie eine Auseinandersetzung mit der jüngsten Kunstgeschichte vor einem komplexen politischen Hintergrund aus heutiger Sicht funktionieren kann, zeigt hingegen die Ausstellung „Kontakt Sofia“. Durch den Versuch einer Rekonstruktion der Kunstgeschichte von Ost- Zentral und Südeuropa mit Werken, die vor und nach der politischen Wende 1989 entstanden sind, bietet die Ausstellung der Kontakt-Kollektion der Erste Group einen differenzierten Blick. Durch gelungene Gegenüberstellungen werden konzeptuelle und aktivistische künstlerische Wahlverwandtschaften, sowie deren verschiedene soziopolitische Bedingungen der Produktion sichtbar. Generationsübergreifend reicht die zeitliche Spanne von 1961 bis 2004. Obwohl ein Teil der Werke bereits in den 1960er und 1970er Jahren entstanden ist, durchdringt ein frischer Atem das Display. Eine derartig konzentrierte Auswahl von zentralen Werken konzeptueller und performativer Kunstpraktiken, die wichtige Künstlerpositionen wie Pawel Althamer, Peter Weibel, Marina Grzinic & Aina Smid, Carola Dertnig, VALIE EXPORT, Natalia LL, Sanja Ivekovic, Sejla Kameric, Roman Ondac, Tanja Ostojic oder Mladen Stilinovic sowie die international derzeit äußerst erfolgreiche Geta Bratescu enthält, bekommt das Publikum in Sofia ansonsten als Original kaum zu Gesicht. Doch sind es nicht nur Überlegungen zu modernistischen Tendenzen, deren Reenactment oder performative Neudefinitionen von Raum durch körper- und genderbezogene Kunstpraktiken, deren politische Radikalität ins Auge stechen. Im Unterschied zu den Nachbarländern, begann sich in Bulgarien die zeitgenössische Kunstszene erst Mitte der 1980er zu entwickeln. Zum Topos von Künstlern wie Luchezar Boyadjiev, Ivan Moudov und Boryana Rossa wurde vor allem der mediatisierte öffentliche Raum, dessen politische und ethische Konditionen verschiedenen Interessensgruppierungen unterliegen und der einiges an Konfliktpotential beinhaltet. Eine persönliche Landkarte seiner Heimatstadt Sofia gestaltete der Künstler Luchezar Boyadjiev in „Home/Town“ (1998) und gestaltet so ein psychologisches Mapping. Für artmagazine Autor Walter Seidl, der gemeinsam mit Maria Vassileva, der Kuratorin der Sofia Art Gallery, die Ausstellung zusammenstellte, ist die Kunstszene in Sofia vertrautes Terrain. Ivan Moudovs Performance „Traffic Control“ (2001) findet sich auf dem Cover des Ausstellungskataloges und thematisiert Prozesse der kulturellen Übersetzung. Bekleidet mit der Uniform eines bulgarischen Polizisten tritt Ivan Moudov an einer Grazer Kreuzung als unauthorisierter Verkehrspolizist in Aktion. Es dauerte kaum mehr als zehn Minuten bis diese illegale Aktion von der Polizei gestoppt wurde.
Mehr Texte von Ursula Maria Probst

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Kontakt Sofia
22.10 - 27.11.2011

Sofia City Art Gallery
1000 Sofia, 1, Gen. Gurko Street
Tel: 00359 2 9872181
http://sghg.bg/
Öffnungszeiten: Di-Sa 10 - 19, So 11 - 18 h


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