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Fundstücke

Auch dieses Jahr endete das Vienna International Film Festival, kurz Viennale genannt, mit einer weiteren Bestätigung seiner Beliebtheit: Nicht nur ließ sich der Kartenverkauf noch immer leicht steigern, man freute sich auch über 120 ausverkaufte (von insgesamt 347 angebotenen) Vorstellungen. Die Stimmung war festlich. Jenseits der schon erwähnten [siehe die artmagazine Vorschau] Selbstläufer großer Autorennamen war die Neugier auf Filme von nicht ganz so berühmten AutorInnen unübersehbar: Man vertraute offenbar der Viennale-Filmauswahl. Großes Interesse fand etwa der französische Spielfilm „L’Apollonide” des Drehbuchautors und Regisseurs Bertrand Bonello über Frauen in einem Pariser Edelbordell der Belle Epoque. Doch die beachtlichen Schauwerte überlagerten leider, was (vielleicht) als Kritik an der “Sexsklaverei” gedacht war. Die vor allem visuell vermittelte Botschaft ließ sich letzten Endes verkürzen auf: Schönheit, in der auch diese kleine Welt zugrunde ging. Ähnlich zwiespältig erging es der Besucherin des Spielfilms „Cut“ von Amir Naderi, in dem sich Cinephilie mit Masochismus mischte, was an sich ja noch keine generell verwerflich Haltung ist. Doch dass sich ein junger Regisseur, um die Schulden seines Bruders bei der Yakuza zu bezahlen, die dieser seinetwegen gemacht hatte, um die Filmproduktionen zu finanzieren, für Geld so lange verprügeln lässt, bis er auch die Ermordung des Bruders durch die Gläubiger an sich selbst gesühnt glaubt, führt wohl tief in das Reich cinephiler Männermythen hinein. Wirklich spannend dagegen ist der neue Kurzfilm von Norbert Pfaffenbichler: „Conference (Notes on Film 05)“ zeigt eine Art „Konferenzschaltung“ von Schauspielern, die Adolf Hitler verkörpten. Immer aufs Neue erleben wir die Charakteristika von Bärtchen, Mimik und Gebaren und sehen dabei trotzdem bekannte Darsteller wie Charles Chaplin, Bruno Ganz oder Hubsi Kramar vor uns. Die Erkenntnis aus so viel Hitler im Film ist erwartungsgemäß gruselig: Personen und Gesichter sind austauschbar. Jeder könnte Hitler sein. Eine interessante Erfahrung war auch der kanadische Dokumentarfilm „How I Filmed the War“ von Yuval Sagiv, in dem Aufnahmen aus dem bekannten, direkt aus dem Schützengraben heraus gedrehten Dokumentar- und Propagandafilm „The Battle of the Somme“ von 1916 dem später verfassten Text von dessen Kameramann und Cutter Lieutenant Geoffrey Malins sowie fremden Kommentaren gegenüber gestellt wurden. Wie zu erwarten war, klaffen bisweilen signifikante Lücken zwischen Text und Bild. Ein sehr starkes Erlebnis war der Spielfilm „Totem“ von Jessica Krummacher. Von der ersten Minute an entwickelte die Geschichte um ein rätselhaftes Hausmädchen in einer deutschen Mittelschichtsfamilie einen ganz unwiderstehlichen Sog subtilen Horrors. Gespannt und voll dunkler Ahnungen folgte man Fiona bei ihrem Umgang mit den einzelnen Familienmitgliedern, zu denen auch zwei Babypuppen gehörten, um erst zum Schluss ihre wahre Rolle in einem gar nicht so sehr sie betreffenden Drama zu erkennen. Im Gedächtnis bleiben wird denjenigen, die das Glück hatten, die ausverkaufte einzige Vorstellung zu besuchen, auch der französische Dokumentarfilm „Traduire”. Er besteht aus Interviews mit Menschen, die aus dem Hebräischen in ihre jeweils eigene Sprache übersetzen: Deutsch, Englisch, Russisch, Jiddisch, Arabisch... So spannend, wie hier präsentiert, hätte man sich diese Arbeit niemals vorgestellt. Jede/r hat zum Zugang durch die Muttersprache auch noch seinen ganz persönlichen Bezug. Es ist, als würde man Entdeckern auf ihren abenteuerlichen Reisen folgen.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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