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Der leere Raum: Beziehungsgeflecht und Selbstreflexion

Der Titel „Der leere Raum“ der Ausstellung, die gegenwärtig im Kunsthaus Interlaken zu sehen ist, entstammt einem 1968 erschienenen Klassiker der Theaterliteratur des englischen Regisseurs und Theatermachers Peter Brook. Auf den ersten Blick hat die von Heinz Häsler kuratierte Ausstellung in Interlaken wenig mit Theater zu tun, zeigt sie doch neben einigen Modellen und Fotos des Projektes Saxeten von George Steinmann vornehmlich Gemälde von Varlin, Niklaus Stoecklin, Heiner Kielholz und Johannes Rochhausen. Vom „Basler Plakatgestalter“ Niklaus Stoecklin (1896-1982), der nicht zuletzt seit seiner Retrospektive im Kunstmuseum Winterthur 1997 als Schweizer Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit und des Magischen Realismus gilt, gibt es unter anderem zwei Interieurs aus dem Atelier Hammerstrasse von 1918 und 1919 zu entdecken. Stoecklin ist ein großartiger Erzähler, er arrangiert die Gegenstände wie Schauspieler und macht uns Betrachter zu Zuhörern einer Komödie, die sich zwischen Besen, Wasserhahn, Schüssel und Spiegel abspielen. Stoecklin war leidenschaftlicher Fasnächtler, so dass es kein Wunder ist, dass seine „leeren“ Räume das Tiefgründige und Absurde des Lebens aufzeigen. Angesichts dessen wirken die Interieurs des Heiner Kielholz (1943 geb.) wie eingefrorene Seinszustände. Die kleinen etwa DinA4 großen Formate entwickeln eine ungeheure Kraft und es ist diese komprimierte Energie, die seine Bühnen belebt. Ein Stuhl, ein Tisch, ein Kerzenständer, ein Bett, mehr braucht es nicht, um aus all diesen Bestandteilen des Alltags ein Beziehungsgeflecht zu bauen. Kielholz, in den späten 1960ern Mitbegründer der Ateliergemeinschaft Ziegelrain in Aarau, beherrscht die Kunst mit minimaler Aussage größtmögliche Kraft zu entfalten. Seine Bilder erzählen unspektakuläre Ereignisse, die sich erst im Laufe ihrer steten Wiederholung zu Erlebnissen verdichten. Seine Interieurs sind eigentlich versteckte Landschaften, die Gegenstände wirken wie Figuren, die zufällig im Raum aufeinandertreffen. Er baut aus Fragmenten ein ineinandergreifendes räumliches Gefüge als Bühne auf, das miteinander in vielfältige Korrespondenzen tritt. Miteinander sprechende Gegenstände. Die stumme Sprache der Dinge. Heiner Kielholz nimmt sich – und hierin ist er Robert Walser gleich – selbst ganz zurück und hilft Gegenständen ihre ureigene Dinglichkeit und Sprache zu entwickeln. Johannes Rochhausen (1981 geb.), Leipziger Gast in dieser Ausstellung, zeigt eine gänzlich andere Welt. Seine Gegenstände wirken bedrohlich, seine Räume verlebt und verlassen. Abgemalt in einer rauen Welt, beleuchtet von beinah surrealem Licht. Seine Gemälde führen an Orte, die Sartre und Beckett gefallen hätten. Orte des Existenzialismus. Welch ein Kontrast und welch andere Malerei offenbart sich hierin. Von der Zeitlosigkeit, die bei Kielholz begegnete, sind diese Gegenstände weit entfernt. Und dennoch wirken sie wie Relikte einer Zeit, die ihren Schöpfer längst überdauert hat. In ihrem Unbehagen und ihrer Verlassenheit konfrontiert Rochhausen den Betrachter mit einer Wirklichkeit, die man gerne übersehen würde, aber es nicht kann, da sie zunehmend um sich greift und uns in unserem beschaulichen Dasein stört. Genau diesen Aspekt des existentiellen Unbehagens kombiniert mit einer großen Portion Sehnsucht nach dem Leben finden wir in den Werken von Varlin wieder, wie sich Willy Guggenheim (1900-1977) zu Lebzeiten nannte. Auch Varlin lässt seine Gegenstände zu Wort kommen; doch diesen sitzt oftmals der Schalk im Nacken. Anders kann man das frivole Zusammentreffen eines Damenschuhs mit Stendals Büchlein „De l’Amour“ von 1944 oder das Auftauchen eines echten Messgerätes oberhalb einer gemalten Waschmaschine kaum verstehen. Varlins Atelieransichten sind eigentlich Innenräume, beunruhigende Abbilder unserer Innenwelten. Er gibt uns Bühnen, die mentale Verzerrungen ebenso zeigen, wie die Brüchigkeit der dort aufgeführten Stücke. Das Leben auf der Bühne Varlins ist bevölkert von Gegenständen, die wie Antihelden und Randfiguren unserer Gesellschaft wirken. George Steinmann (geb. 1950) bringt die äußere Bühne mit den inneren Stücken zusammen und all dies gelingt ihm mittels einer Brücke und einer Klause. Im Werk Saxeten, einer wachsenden Skulptur, die Steinmann in den Jahren 2002 bis 2006 im Berner Oberland realisiert hat, wird dieses soeben beschriebene Ineinandergreifen ersichtlich. Dem üblichen Kunst am Bau Projekt, welches ein Gebäude der kantonalen Steuerverwaltung in Bern behübschen sollte, stellt Steinmann den Bau einer Holzbrücke und einer Holzklause in einer der steuerschwächsten Gemeinden entgegen und schafft es so, dem zunehmend durch Wegzug der Bewohner leerer werdenden Außenraum ein starkes Zeichen entgegenzustellen. Die Brücke als schmalste und unmittelbarste Form der Bühne führt Menschen, die sich begegnen, für einen kurzen Moment zueinander. Der leere Raum der Klause führt in uns selbst zurück und gibt den Dingen ihren Wert und ihren angestammten Platz. Nicht zuletzt dessen kann man den Satz von Peter Brook „Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen.“, durchaus als Anleitung nehmen, das gelungene Arrangement der ausgestellten Interieurs als Bühne und Inszenierung zu begreifen, die von den Künstlern unterschiedlich bespielt werden.
Mehr Texte von Harald Krämer

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Der leere Raum
18.06 - 21.08.2011

Kunsthaus Interlaken
3800 Interlaken, Jungfraustrasse 55
Tel: +41 33 822 16 61
Email: info@kunsthausinterlaken.ch
http://www.kunsthausinterlaken.ch/
Öffnungszeiten: Mi-Sa 14-17, So 11-17 h
Mo, Di geschlossen


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