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Beirut : Die Melancholie der Labilität

Die zweite der vierteiligen Serie von Städteausstellungen der Kunsthalle Wien ist Beirut gewidmet. Die Schau ist nicht sehr groß, aber dennoch in ihrer inhaltlichen Spannweite nicht leicht zu erfassen, denn ein eingehender Besuch erfordert viel Zeit und vor allem die Kenntnis von historischen Faktoren und Hintergründen. Diese sprechen zwar aus den Exponaten, sind obligatorische Basis, aber nicht unbedingt vordringlich proklamiert und werden im Rahmen der begleitenden Saaltexte leider relativ wenig vermittelt. Die spezielle Eigenart Beiruts beruht auf der konfessionellen, ethnischen und politischen Vielfalt der Bevölkerung. Wenngleich deren Diversität in einem inneren Spannungsverhältnis steht, so entwickelte sich doch aus diesem Nährboden heraus in einem gegenseitig äquivalent geführten Diskurs ein hohes kulturelles Potential mit spezifischem künstlerischem Ausdruck. Dieses komplexe Nebeneinander und Miteinander wurde nicht nur allzu oft in den medial transportierten Informationen simplifiziert und daher unrichtig dargestellt, sondern letztendlich als adäquater Schauplatz von externen Großmächten missbraucht, um durch direkte Einflussnahme sowie subversive Involvierung der einzelnen libanesischen Bevölkerungsgruppen Konflikte und Rivalitäten zu provozieren und damit ihre aggressiven Eigeninteressen stellvertretend austragen zu lassen. Die Erfahrungen des 15 Jahre andauernden Bürgerkrieges (1975-1990) und die nicht abgeschlossene Verarbeitung der Schrecken werden in nahezu allen Ausstellungsstücken manifest. Nichtsdestoweniger zeigt sich in den aktuellen Arbeiten der 18 zeitgenössischen libanesischen Künstlerinnen und Künstler eine durchaus eigenständige Ästhetik, die vor allem das Genre des Video bevorzugt und auf eine eigentümliche Weise zwischen orientalischem und europäischem Couleur changiert. Lamia Joreige bettet historische und aktuelle Bilder und Schriften von und über Beirut in ein Netz von Bezügen, zeigt daneben in einer großformatigen Projektion einen Ablauf von Panorama-Aufnahmen eines Hafens, in dem sich historische Augenblicke überlagern und findet den Schlussakkord im Video mit der apokalyptischen Vision eines scheinbar ruhigen Küstenstrichs, was allerdings auf der Auslöschung der städtischen Besiedelung beruht: Beirut, Autopsie of a city negiert die Historizität des Narrativen, die zumeist bedrohlichen und traurigen Momente sind dem Endlichen entbunden und von erschütternder zeitloser Gültigkeit. Ähnlich berührend Mona Hatoums Installation Balancoires: Mitten im Raum hängen zwei gläserne Schaukeln in gefährlich knappem Anstand zueinander. Auf deren Sitzfläche ist jeweils eine Hälfte des Stadtplans von Beirut geätzt. Sie sind durch jene imaginäre Linie getrennt, die während des Bürgerkriegs aufoktroyiert wurde und noch immer mental vorhanden ist. Die traurig-surreale Atmosphäre wird durch Mounira Al-Solhs Video Rawane’s Song aufgebrochen. In frischer Farbigkeit und humoristischem Einsatz von aktuellen Motiven und pointierten Perspektiven sowie der unmittelbaren Visualisierung ihrer persönlichen Gedanken veranschaulicht die Künstlerin eine selbstironische Reflexion ihrer individuellen künstlerischen Authentizität: Einerseits ist ihre Position determiniert von gängigen, aber unzutreffenden Klischees, die vorwiegend durch westlich orientierte Mentalität bestimmt sind, andererseits ist die Auseinandersetzung oder Konfrontation mit dem Kontext des Bürgerkriegs unausweichlich, selbst oder gerade in dessen Negation wird er präsent. Das beunruhigte Bewusstsein um die Labilität der gegenwärtigen Situation im Libanon wird in Ali Cherris Installation offenbar: Ein projizierter Körper wird auf der schwarzen Wasseroberfläche verzerrt wiedergegeben, Luftblasen steigen auf. Ein Text besagt „yesterday was dramatic – today is ok“ – die Frage nach dem Morgen stellt sich unweigerlich ein, unheimlich aber gewiss ist das Ungewisse. Mit drei nebeneinander präsentierten Videos wird das Thema der Sexualität fokussiert, als intimer, aber genauso menschlich essentieller Aspekt des Lebens in Beirut. Der Blick auf die Geschlechtlichkeit und Erotik und die damit verbundene Befindlichkeit ist für mitteleuropäische Gewohnheit andersartig, bei aller Direktheit seltsam distanziert. Die temporären satirischen Momente in den einzelnen Arbeiten erfahren allerdings einen zynischen Unterton, wenn sich die Kopfhörer keinem der Videos eindeutig zuordnen lassen. Doch lässt sich gerade darin wieder eine Metapher auf die tatsächlich immanente Situation der Menschen in Beirut sehen. Die „Goldene Zeit“ als „Paris des Nahen Ostens“ ist verklärte Geschichte, der Bürgerkrieg mit all seinen Grauen, Abgründen und Fragwürdigkeiten noch lange nicht verarbeitet. Gegenwärtig breitet sich um die Stadt Beirut ein neuer Boom aus, allerdings im Kontext einer Globalisierung, die zur Lösung der zentralen Thematik nur eine weitere Herausforderung darstellt: Denn es bleibt die Frage nach der eigenen Identität, die Sehnsucht nach ihr und die aktive künstlerische Suche nach Antworten, was in der poetischen Melancholie der Ausstellung eindringlich präsent wird.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Beirut
29.06 - 24.08.2011

Kunsthalle Wien Karlsplatz
1040 Wien, Karlsplatz/Treitlstraße 2
Tel: +43 1 52189-0
Email: office@kunsthallewien.at
http://www.kunsthallewien.at
Öffnungszeiten: Di-So 11-19, Do 11-21 h


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