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Tonspur 42: Peter Weibel - Das Leben im 20. Jahrhundert: 225 Millionen Morde: Jahrhunderte für die Opfer

„Die Unendlichkeit des Todes in wenigen Minuten zu erzählen, indem ich die Todesziffern zähle, ist die List der Kunst, dem Tod seine Totalität zu nehmen“ (Weibel). Der bekannte Neo-Avantgardist Peter Weibel will das Schweigen und Verdrängen in der Kunst als eine Art von Abwehrmechanismus erklären. [1] Als politischer Künstler sieht Peter Weibel für sich selbst die Notwendigkeit, in seinen künstlerischen Arbeiten, Schriften und Vorträgen die Konstellationen staatlicher Machtstrukturen, die Vorstellungen zur Demokratie sowie die ambivalente Rolle der (Massen-)Medien stetig kritisch zu durchleuchten. Seine Kritik richtet sich dabei ebenso auf die Komplizenschaft der Kunst im 20. Jahrhundert, die das Vertauschen von Repräsentation und Realität endlos zu repetieren versucht hat: Kunst müsse endlich damit aufhören, als Fluchtpunkt für Transzendenz und Rituale zu dienen. Peter Weibels neueste Arbeit zu Macht und Gewalt „Das Leben im 20. Jahrhundert: 225 Millionen Morde“ (2011) setzt sich aus einer Serie von Mixed Media-Installationen zusammen. So zeigte er im Mai dieses Jahres in Strassburg (De la réalité virtuelle à la réalité augmentée, Apollonia), eine Installation, die unter Anwendung von iPhones eine Verbindung zwischen einem realen und dem virtuellen Raum interaktiv aufbaut, wodurch der Betrachter auf dem Screen des iPhones und mithilfe der so genannten „augmented reality“ nähere Informationen zu den politischen Morde erhält. Der Betrachter, der selbst Teil der Arbeit wird, hat die Option, auf zehn frei fliegende virtuelle Globen mit den „mobilen devices“ real anzusteuern und Daten über politische Morde, Todesfälle in Folge von Kriegshandlungen, Genozide usw., die sich in den Jahren zwischen 1900 und 2000 ereignet hatten, abzurufen. Die zehn Globen symbolisieren die einzelnen Dekaden des 20. Jahrhunderts. Aus derselben Serie richtete Weibel im Wiener Museumsquartier für den öffentlichen Raum im Rahmen der 42. Tonspur-Passage eine weitere Variante in Form eines Oratoriums mit einer 8-Kanal-Klanginstallation in Endlosschleife ein. Eine weibliche und eine männliche Stimme sprechen die Opferzahlen, den Ort und den offiziellen Titel des stattgefundenen Massakers aus. Die 225 Millionen Morde werden namenlos in der Statistik geführt, und wollte man die vollen Namen sämtlicher Ermordeter aufsagen, wäre dazu die Zeit mehrerer Jahrhunderte nötig. Diesen unschuldigen Opfern wurde das Oratorium gewidmet, das wie ein „akustisches Monument“ (Weibel) an die Namenlosen erinnern soll. Diese Leben im 20. Jahrhundert sind hier nicht in der Bedeutung des Wortes „Leben“ zu verstehen, sondern werden zu einem Synonym für Tod. Mit dem durch politische Motive verursachten, gewaltsamen Tod wird eigentlich ein Doppelmord begangen, den der Künstler Peter Weibel als „real und symbolisch“ definiert, denn eigentlich sterben „politisch Ermordete […] unendlich oft.“
Mehr Texte von Romana Schuler

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Tonspur 42: Peter Weibel - Das Leben im 20. Jahrhundert: 225 Millionen Morde
13.06 - 20.08.2011

Tonspur Passage
1070 Wien, Museumsquartier/quartier 21
http://www.tonspur.at/


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