Werbung
,

Mai-Thu Perret / Christian Rothacher: Mai-Thu Perret trifft Christian Rothacher in Aarau

Noch bis Ende Juli ist im Aargauer Kunsthaus ein Stelldichein der besonderen Art zu entdecken: die Ausstellung ‚The Adding Machine’ der Genfer Künstlerin Mai-Thu Perret trifft auf die Retrospektive des Aarauer Künstlers Christian Rothacher. Mögen beide Ausstellungen auf den ersten Blick wenig miteinander gemein haben, so leben die gezeigten Werke von der Fülle der ihnen zugrundeliegenden Zitate und Querverweise. Christian Rothacher (1944-2007) – einst Mitbegründer der legendären Ateliergemeinschaft am Ziegelrain in Aarau, welche von 1967 bis 1975 zu den Vorreitern der Schweizer Avantgarde zählte – hinterliess ein umfassendes Werk voller Anspielungen, tiefgründiger Poesie und höchster technischer Vollkommenheit. Letzteres zeigt sich beispielsweise in den Aquarellen seiner übereinandergeschichteten Glasscheiben und seiner schneebedeckten Grasflächen. Werke der anderen Ziegelrain-Mitglieder wie von Heiner Kielholz, Hugo Suter, Max Matter und Markus Müller finden sich in den benachbarten Räumen und geben so die Möglichkeit, die Arbeiten Rothachers in ihrem damaligen Entstehungsumfeld zu sehen und zu bewerten. Der Nähe zur Pop Art und Arte Povera in der Frühzeit folgen in den 1970ern seltsam surrealistisch anmutende Objekte und skurrile Zeichnungen. Wenn Rothacher zitiert, bedient er sich unterschiedlicher Strategien der Verfremdung und behält dennoch die Quelle der Inspiration bei. Ob die in einem Teller eingefangene Woge aus Ton des Hokusai, die mit blauer Farbe und Schwamm versehene Schultafel à la Yves Klein, das aus Holzlinealen bestehende Wegkreuz nach C. D. Friedrich oder die Nachstellung des Abendmahls von Leonardo mittels simpler Schreibtischlampen, immer wieder wagt es Rothacher auf ironisch-kritische Art und Weise die überlieferte Formelhaftigkeit bekannter Werke in Frage zu stellen. Im Gegensatz zu ihm, dessen Werke den Ursprung des Zitats nicht negieren, sondern eher als eine Art reflektiertes gattungüberschreitendes Referenzverfahren zu verstehen sind, strebt Mai-Thu Perret (*1976) mit ihrer ‚Adding Machine’ das vollkommene Sampeln an, indem sie ihre Strategie als „zeitgleiches Verlangen nach dem Bekannten und dem Kommenden“ versteht. Ausgehend von ihrem Leitmotiv: „Wie machst du etwas, was du vorher noch nie gemacht hast?“ hebt Perret alle bestehenden Grenzen auf, um Alles mit Allem kreuzen. Entlarvend und ernüchternd hierzu das Interview der Künstlerin im Kunstbulletin (6/2011). Das in Aarau zu sehende Ergebnis ist ein multidisziplinäres Sammelsurium, welches vom Betrachter ein ebensolches „breites kultur- und kunsthistorisches Referenzsystem“ voraussetzt, wie es die Künstlerin scheinbar hat. Auch die Belehrungen des Saalzettels helfen da nicht wesentlich weiter, denn die Anspielungen Perrets brüskieren nur oberflächlich mit vermeintlichen Bezügen und fußen auf einem enzyklopädischen Interesse, welches grob gesprochen von Hilma af Klint zu William S. Burroghs und von Enzo Maris Autoprogettazione bis hin zum postmodernem Dekor eines Robert Venturi oder Aldo Rossi führt. Da jeder Bezug weitere nach sich zieht und von den BetrachterInnen weitere getroffen werden, unterliegt das ganze Perretsche Wertesystem einer starken Beliebigkeit. In einem Raum trifft George Mathieus flüssige Rorschachmalerei auf die Hummertelefone des Salvador Dali, im nächsten Claes Oldenburgs begehbare Teekanne auf Gerwald Rockenschaubs Neo-Geo-Gemälde. Natürlich dürfen hübsche Wandobjekte aus Ton, „skulpturale Elemente“ auf die Filme projiziert werden, einige dekorative Möbelstücke, Op Art-Tapeten und nüchterne Neonröhren, die von Piet Mondrian inspiriert sein sollen, nicht fehlen. Die aus Polyurethanschaum gefertigte Kopie eines Jaguars aus dem mesoamerikanischen Teotihuacán und ein mit Goldblättchen beklebter Buddha schlagen den Bogen zu den fehlenden Kulturen et voilà: „The Adding Machine“. Einzeln betrachtet kommen die Aussagen und Stärken der Arbeiten einigermaßen gut zur Geltung; in der Aneinanderreihung der Räume zeigen sich aber die zunehmenden Schwächen des Gesamtkonzepts. Zwar gelang es William S. Burroghs und Brion Gysin mit ihrer Remix-Technik der ‚Cut-Up’-Montage Manuskriptseiten dem Zufallsprinzip folgend neu anzuordnen; doch diese Strategie als Leitlinie zu deklarieren, um einige wenige starke Einzelwerke in eine ansonsten eher schwache Ausstellung zu pressen, reicht leider nicht aus. Glücklicherweise hat es im Untergeschoß noch die gelungene Retrospektive von Christian Rothacher.
Mehr Texte von Harald Krämer

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Mai-Thu Perret / Christian Rothacher
14.05 - 31.07.2011

Aargauer Kunsthaus
5001 Aarau, Aargauerplatz
Tel: +41 62 835 23 30, Fax: +41 62 835 23 29
http://www.aargauerkunsthaus.ch
Öffnungszeiten: Di - So 10:00 - 17:00, Do 10:00 - 20:00


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: