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Schweigen ist Gold

Es waren die unangenehmsten Situationen in der Schulzeit. Alle, die nicht ständig mit hervorragenden Noten glänzten, erinnern sich bis heute daran. In unserem Fall verstand sich insbesondere der Geografielehrer bestens darauf, solche herbeizuführen. „Also jetzt steh einmal auf, Pfeifer / Nawratil / Schedlmayer“, polterte er dann, „und sag mir, warum du mir die Nebenflüsse des Inn nicht aufzählen kannst!“ In einem solchen Fall blieb eigentlich nur eines übrig: Schweigen. Sollte man wahrheitsgemäß erklären, dass es einen einfach nicht die Bohne interessierte? Dass man sich lieber Stephen King als der Topografie widmete? Dass man am Vortag gezwungen gewesen war, in die große Stadt zu fahren – weil man schließlich unbedingt diese neue Metallica-CD benötigte – und sich daher nicht der Materie hatte widmen können? Das hätte die Sache nur schlimmer gemacht. Wie leicht hätte es im Gegensatz dazu jemand wie Gerald Matt, der jetzt auch zum Schweiger mutiert ist. Leute, könnte er sagen, die Sache ist so: Irgendwie ist es im Lauf der Zeit so eingerissen, dass die Mitarbeiter in der Kunsthalle Dinge für mich selber erledigen. Es stimmt, das war nicht korrekt. Ich hab mir aber nichts Böses dabei gedacht, sondern war der Meinung, wenn ich mich selbst promote, dann bewerbe ich damit auch die Kunsthalle. Das mit den Staatsbürgerschaften, das hat mein Kollege Klaus Albrecht Schröder übrigens auch probiert, warum hat sich damals keiner aufgeregt? Natürlich, es hatte schon ein bisschen eine blöde Optik, dass die Gelder über einen eigenen Verein fließen sollten. Aber wir können über etwas, das gar nicht geschehen ist, schwer reden. Ich verstehe auch, dass ihr wegen dieser Wirtschaftsprüfer skeptisch seid – aber es wird noch das Kontrollamt kommen. All das könnte Matt vorbringen. Seit Wochen jedoch schweigt er wie ein schuldbewusster Schüler. Die Grünen zeigen ihn an – keine Reaktion. Die ÖVP zeigt ihn an – keine Reaktion. Ständig wird über neue Merkwürdigkeiten berichtet – keine Reaktion. An Matts Stelle sprechen Vorstandsmitglieder und Presseleute, versuchen die Vorwürfe an ihn zu entkräften; sogar der Kulturstadtrat wirft sich für ihn in die Bresche, macht Aussendungen über entlastende Rechnungshofberichte (die in Wirklichkeit so gar nicht existieren, wie der „Kurier“ herausfand). Noch vor wenigen Jahren hielt Gerald Matt sich für so interessant, dass er Künstler und Künstlerinnen zum Abfotografieren seiner Wohnung einlud (die meisten meiner Gesprächspartner benützen dafür ein Wort, das mit p beginnt und aus acht Buchstaben besteht). Das flotte Bonmot, die elaborierte Rede, die spontane Ansprache – all das beherrscht der Kunsthallen-Direktor so gut wie kaum jemand. Nun versteckt er sich ebenso vor der Öffentlichkeit wie sein einst auch nicht maulfauler Kollege Peter Noever, der nach seinem Rücktritt plötzlich mit keiner Zeitung mehr redete, außer vielleicht mit dem „Standard“. Man stelle sich einmal vor, irgendjemand mit einer politischen Funktion vergeigt etwas – und gibt keine Interviews mehr. Der Hohn genau jener Kunstelite, die sich in ihrem Nonkonformismus so gefällt, wäre ihnen sicher. Aber in der Kultur gelten offenbar andere Regeln als in der Politik. Noever hat das Recht zu schweigen – er ist nicht mehr als Museumsdirektor tätig. Matt dagegen, der nach wie vor seine Funktion innehat, müsste sich äußern. Alles andere schaut noch blöder aus als wir Pickelgesichter damals in der Geografiestunde.
Mehr Texte von Nina Schedlmayer

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