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Henri Cartier - Bresson: Cartier Bresson und sein ‚filmischer’ Blick

Richard Avedon äußerte sich einst über seinen Kollegen Henri Cartier-Bresson mit den Worten: „Er ist der kompletteste, wichtigste von uns allen, in allen Gesichtspunkten: Ob sozial oder politisch – er deckte alles ab. Er ist schlicht der beste Fotograf des 20. Jahrhunderts.“ Avedon betont hierbei die Vielfalt der von Cartier-Bresson behandelten Themen. Ob der Tod Gandhis oder die Huldigung Lenins, ob Portraits von Matisse und Sartre, ob Prostituierte in Mexiko oder ein Sonntagnachmittag an den Ufern der Marne, in Cartier-Bressons Fotografien spiegeln sich zuallererst die Menschen und deren individuelle Schicksale wider. Diese Leidenschaft umschrieb er selbst, indem er sagte: „Ich liebe Gesichter und das, was sie ausdrücken. In ihnen kann man alles lesen... Ich bin vor allem Reporter. Doch geht es mir zugleich um etwas Persönliches: Meine Fotos sind mein Tagebuch. In ihnen spiegelt sich der universelle Charakter der menschlichen Natur.“ Diese Unmittelbarkeit im Ausdruck eines sozialen und politischen Geschehens ist die Leitlinie seiner Fotos. Nimmt man hingegen Komposition, Bilddramaturgie und Bildausschnitt, so revidiert sich Avedons geäußerte Ansicht, dass Cartier-Breson „der beste Fotograf des 20. Jahrhunderts“ war. Denn vergleicht man die Fotografien Cartier-Bretons mit denjenigen von Alfred Stieglitz oder August Sander so war er im Grunde genommen eher ein Kameramann, der auch fotografieren konnte. Welche Entwicklung seine Arbeiten erfahren hätte, wenn er bei Luis Buñuel gelernt hätte, wissen wir nicht. Dieser wies ihn als Assistenten ab. Beim ‚Neorealisten’ Jean Renoir lernte Cartier-Bresson 1936 als zweiter Assistent während der Dreharbeiten zu ‚Une partie de campagne’ das serielle Sehen und schärfte weiterhin seine Gabe in einer einzigen Momentaufnahme Bewegung mit einer narrativen Aussage zu verschmelzen. Dieser ‚filmische’ Blick Cartier-Bressons zeigt sich in zahlreichen Fotos von denen hier stellvertretend der legendäre Sprung über die Pfütze am Place de l’Europe unweit des Pariser Gare Saint-Lazare von 1932 oder der Blick durch das Loch in der Wand auf die spielenden Kinder in Sevilla 1933 oder auch das Tagesgeschehen in Aquila 1951 genannt seien. Cartier-Bretons Strategie war das Ausrichten der Kamera auf einen vorgefundenen Bühnenartigen Ausschnitt und das Warten auf den „richtigen“ Moment des Schauspiels. Angesichts dessen ist es kein Wunder, dass Eugen Herrigels Zen in der Kunst des Bogenschießens eines seiner Lieblingsbücher war. Hat man als Betrachter dieses oftmals angewendete Kamera-Prinzip Cartier-Bretons erkannt, treten die feinen Unterschiede dieser Fotografen-Handschrift in den Vordergrund. Noch stärker lässt sich dieses Filmische in seinen als Scrapbooks bezeichneten Bilderalben und in den Fotoreportagen, die der Mitbegründer der Agentur ‚Magnum Photos’ für Du oder LIFE zusammenstellte, nachweisen. In Letzteren wird die Bildgeschichte als eine Art erweitertes Pendantsystem wiedergegeben. Das Prinzip Bilder durch Gegenüberstellungen zum „Sprechen“ zu bringen, geht auf diese museale Präsentationspraxis aus der Frühzeit der Gemäldesammlungen zurück und wird in den Fotoreportagen Cartier-Bressons in seiner LIFE-Reportage über den Bürgerkrieg in China 1948 oder über Freizeit im Russland der 1950er Jahre beispielsweise konsequent angewendet. Diesen begnadeten Fotoreportagen stehen seine Pseudo-Dokumentarfilme wie Victoire de la Vie und L’Espagne vivra (beide 1937) über den Spanischen Bürgerkrieg und Le Retour (1944/45) über die Heimkehr von Kriegsgefangenen und Deportierten gegenüber. In diesen pathetischen Filmwerken gelingt es dem Regisseur Cartier-Bresson jedoch nicht, die Klarheit und Präzision der Bildsprache des Fotografen Cartier-Bresson zu erreichen. Die Leistung der retrospektiven Ausstellung, welche das Museum für Gestaltung Zürich in Zusammenarbeit mit der Fondation Henri Cartier-Bresson und Magnum Photos realisiert hat, liegt darin, dass die vielfältigen Strategien der Bilddramaturgie anhand der unterschiedlichen sozialen und politischen Themen des Chronisten, Geschichtenerzählers und Reporters Cartier-Bresson sichtbar gemacht werden.
Mehr Texte von Harald Krämer

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Henri Cartier - Bresson
08.04 - 24.07.2011

Museum für Gestaltung
8005 Zürich, Ausstellungsstrasse 60
Tel: +41 (0)43 446 67 67, Fax: +41 (0)43 446 45 67
Email: welcome@museum-gestaltung.ch
http://www.museum-gestaltung.ch/


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Welchen praktischen Nutzen ...
Walter Stach | 26.07.2011 03:01 | antworten
... soll die Besprechung einer Ausstellung haben, die vor dreineinhalb Monaten eröffnet wurde und einen Tag nach deren Schließen publiziert wird?

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