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Rimaldas Viksraitis & Martin Parr - The Real World: Wahrheit, Schönheit, Fotografie

Solange wir nicht spitzfindig an dem Wort „wahr“ herumfummeln und es auf seinen wahren Gehalt hin kitzeln und reizen, ob es sich vor unseren Unternehmungen, seine Tiefe völlig zu erkunden, winden und räkeln muss – solange wir züchtig auf solche Irritationen verzichten, dürfen wir gleichfalls annehmen, Fotographie sei ein wahrheitsgetreues Medium. All das Unwahre, das mit Frauenbeinen und Frauenhaut und auch an der Taille des französischen Präsidenten, die man vor Jahren nackt bei einem Ruderausflug sah, sei nicht eine Leistung der Photograpie, sondern von Photoshop. Die Photographie, beleuchtete Materie durch den Linsenblick der realen Welt, lüge nicht, sondern spreche wahr – so könnten wir sagen. Oder aber wir besuchen „The real world“, eine Ausstellung in der Anzenberger Gallery mit Arbeiten von Martin Parr und Rimaldas Viksraitis. Auf den Bildern von Martin Parr sind Menschen und auf den Bildern von Rimaldas Viksraitis ebenfalls. Martin Parr fotografiert die Sommerfrische in Brighton 1985 sehr bunt – nie hat man so wirkungsvoll grüne Eiscreme gesehen. Die Bilder erzählen von Hitze und Zerlaufenheit, der unbarmherzig langen Sonneneinstrahlung, dem Schweiss, der Erschöpfung durch Lärm und Sehnsucht, weil die großen Ferien immer die letzten sind, die man in einem Jahr hat und genießen kann und die verstreute Fritten, schamlos herumliegenden Imbissmüll und bekleckerte Kinder verursachen. Es ist sehr angenehm, das alles geräuschfrei nacherleben zu können, es ist durch die Freiheit von Hitze, Geruch und Geschrei schön und traurig. Dieser Sommer ist vorbei. Rimaldas Viksraitis fotografiert Szenen auf dem litauischen Land schwarz-weiss. Es ist ein sehr bukolisches Land, ein Land, in dem wild gefeiert wird, in dem Gänse frei auf Straßen laufen, wo keine Autos fahren, keine Ampeln den Verkehr regeln, keine Handies klingeln, sondern sehr unmittelbar und direkt miteinander gesprochen, gestritten, gegessen, gesoffen, geschmust, geraucht, zu Bett gegangen und nochmehr wird. Auf manchen Bildern sind Menschen nackt, und sie sehen wahr nackt aus, nicht, als würden sie dafür bezahlt, nicht, als wollten sie damit etwas verkaufen und nicht, als wären sie nachbearbeitet worden, um besser auszusehen. Sie sind nackt und lustig, sie lachen und sehen so aus, als wäre ihr Leben schön, selbst, wenn sie vollbekleidet auf dem Holzboden schlafen, von Fliegen besprenkelt. Genaugenommen sehen sie so aus, als führten sie ein heiteres Mysterienspiel auf und würden dem Fotografen in selbstvergessener Großzügigkeit erlauben, daran teilzunehmen. Dafür muss der Rimaldas Viksraitis sie in unnachahmlicher Weise bezaubert haben. Wir sagen auch, zwei und zwei sei vier. Zwei Gurken und zwei Äpfel sind bei weitem nicht vier Früchte. Zwei hervorragende Fotografen, die gelungen und intim präsentiert werden, ergeben nicht vier hervorragende Augen und kameragewohnte Hände. Zu sehen sind aber definitiv mehr als vier Bilder, auf denen das wahre Leben im Menschenzoo überzeugend schön ist, zum Lachen, zum Weinen, - zum Schönsein. Wir brauchen nicht von wahrer Kunst zu sprechen, wenn wir sie sehen können.
Mehr Texte von Gesche Heumann

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Rimaldas Viksraitis & Martin Parr - The Real World
25.03 - 31.05.2011

Anzenberger Gallery
1100 Wien, Absberggasse 27 (ehemalige Ankerbrotfabrik)
Tel: +43-1-587 82 51, Fax: +43-1-587 90 07
Email: gallery@anzenberger.com
http://www.anzenbergergallery.com
Öffnungszeiten: Mi - Sa 12-18 h


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