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Direct Art - Wiener Aktionismus im internationalen Kontext: Strangulation und Sperrmüll

Der Wiener Aktionist Otto Mühl wird im Buch seines Kollegen Günter Brus, „Das gute alte Wien“, schlicht „Otto Spermüll“ genannt. Dabei steht Sperrmüll eigentlich nur im Weg herum und wartet darauf, entsorgt zu werden. Das lässt sich von Otto Mühl wohl nicht behaupten. Das Mumok stellt seine Arbeiten vielmehr in den Mittelpunkt der aktuellen Folge von Sammlungsausstellungen zum Wiener Aktionismus. Die Schau „Direct Art“ versammelt Positionen aus den 1950er und 60er Jahren, die zur Sammlung des Hauses gehören, und präsentiert sie in neuen Kontexten. Diese sollen international sein, allerdings bleibt das Spektrum relativ begrenzt: Der Japaner Saburo Murakami hüpft schon 1956 durch Leinwände in die Wirklichkeit und auch die bekannten Kunsterweiterungen ins Reale jener Ära sind vertreten: Nouveaux Realistes, Spoerri, Beuys, Warhol – letzterer mit einer wunderbaren Videostudie eines Frauengesichts. Lateinamerikanische Kunst oder andere, dem Aktionismus durchaus ähnlich körper-, wirklichkeits- und konzeptuell orientierte Exotika sollten nicht erwartet werden. Bei ihrem ersten internationalen Auftritt nannten sich die Wiener Aktionisten „Vienna Institute for Direct Art.“ Das war beim „Destruction in Art Symposium“ 1966 in London und rechtfertigt heute den treffenden Titel der Ausstellung. Die konzeptualistische Seite der Kunstzerstörung bleibt dabei ebenso zaghaft repräsentiert wie ihre feministischen Effekte (VALIE EXPORT und Carolee Schneemann etwa haben zwar den Platz der ihnen gebührt, der Ausstellungsfolder hingegen zeigt zehn Bilder künstlerischer Produktionen, davon keine einzige von einer Frau.) Dennoch: Die Konzeption der Ausstellung ist gelungen, die Qualität der Arbeiten steht mittlerweile ohnehin außer Frage. Allein die Gewichtung muss Zweifel evozieren. In der politischen Kunst der 1960er Jahre waren die Politikerporträts von Mühl doch eher vernachlässigenswert – Wolf Vostells Arbeiten reißen hier immerhin noch einiges raus. Und schließlich, immerhin, wirken Mühls Materialschlachten gerade in der Gegenüberstellung zu den Arbeiten am und mit dem Körper von Brus besonders grob: Während Mühl risikolos Frauenkörper verarbeitet wie andere Gebrauchsgegenstände auch, macht Brus sich nicht nur im übertragenden Sinne angreifbar und verletzlich (nicht nur in „Strangulation“, 1968). Der Unterschied in der krassen Geste ist wie der zwischen Rockertum und Punk einer ums Ganze. Eine distanzierte Haltung zum Mühl´schen Gesamtmissbrauch zu finden, wäre auch mal eine kunsthistorische Aufgabe. Bis zu deren Lösung behelfen wir uns mit der Brus´schen Synthese von Zeitzeugnis und Kalauer.
Mehr Texte von Jens Kastner

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Direct Art - Wiener Aktionismus im internationalen Kontext
12.11.2010 - 29.05.2011

mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
1070 Wien, Museumsquartier, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 52 500, Fax: +43 1 52 500 13 00
Email: info@mumok.at
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Öffnungszeiten: Täglich: 10.00–18.00 Uhr, Do: 10.00–21.00 Uhr


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