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Ulrich Meister: Trouvaillen des Alltäglichen

Spätestens seit seinen anregenden Wort-Objekt-Verdichtungen an der documenta IX 1992 ist Ulrich Meister als ein scharfer und wortgewandter Beobachter bekannt. Sein Augenmerk gilt hierbei alltäglichen Gegenständen ebenso wie der Reibung, die es benötigt, das richtige, das treffende Wort zu finden. Seine Tagebuchaufzeichnungen sind ein beredtes Zeugnis dieses Ringens mit der Unzulänglichkeit der Sprache und des Findens kleiner Trouvaillen, wie beispielsweise die Heidelbeer-Eis-Kugel auf dem Hörnchen, die ihm wegen der intensiven rotvioletten Farbe in der Kindheit am besten schmeckte. Lesenswert im feinen Katalog sind auch die Gedanken zur Multi-Identität des Kartoffelpürees. Meister überrascht die Leser und Betrachter seiner Werke und dies immer wieder. Sprache und Ding, Wort und Abbild; beiden gilt es sich behutsam, aber dennoch mit sezierender Genauigkeit anzunähern. Nur so entsteht jener verblüffende Meistersche Sprach- und Bildwitz, jene treffende Leichtigkeit, die den Schein entlarvet und das der Zwiesprache ureigene Wesen sichtbar macht. Treffend kommt dies in der folgenden Beobachtung zum Ausdruck: »Schade, dass man nicht so sprechen und denken kann, dass man ständig auch gleichzeitig die begrenzte Buchstaben-Anzahl und die Regeln an die man gebunden ist, vor Augen hat. Hätte man es, würde man beim Denken oder Sprechen vielleicht immer als Begleitung den Gebrauch der Sprache als ein sinnliches Tun miterleben!« Meister führt die Magrittsche Philosophie des „Ceci-n’est-pas-une-pipe“ in ungewohnte Dimensionen, indem er Worthaftes bildhaft werden lässt und Dinghaftes zeichenhaft. Nun gibt es in Schaffhausen und in Bern eine parallel aufeinander bestens abgestimmte Schau mit neueren Werken zu sehen. Die Graphische Sammlung in der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern hält auf langgezogenen Pulten, in Vitrinen und länglichen Rahmen etliche skizzenhafte Momente aus dem Entstehungsprozess der Werke bereit und schafft so zugleich eine Dokumentation, die Polaroids, Zeichnungen und Textfragmente ebenso umfasst wie Briefmarkenalben mit ausgeschnittenen Gegenständen, die Werbeprospekten entstammen. Über einer durch eine Stiege zu erreichende Galerie thront über all dem eine Montage von Montagen. Dieses Album, bestehend aus Scherenschnitten, ist zugleich Resultat und Vorbereitung zu dem, was es im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen zu Entdecken gilt. Dort befinden sich in gebührendem Abstand zueinander die Gemälde, die teilweise aus Acrylfarbe oder aus Klebefolien bestehen. Ob Schokoladenei, Briefmarkenbefeuchter, Pistazieneisbehälter, Schuheinlage oder Leberwurststück; kein Ding scheint davor gefeit, zum Gegenstand der künstlerischen Anschauung werden zu können. Ulrich Meister, gebürtiger Schaffhauser, legt mit den beiden Ausstellungen ein harmonisches Wechselspiel neuerer Arbeiten vor und wer die prosaischen Werke der Frühzeit vermisst, sollte im Museum zu Allerheiligen die oberen Stockwerke erkunden und »Flumer« und »Baiser« wiedersehen. Susanne Bieri, Leiterin der Graphischen Sammlung in Bern, und Markus Stegmann, Kurator der Kunstabteilung in Schaffhausen, gelang es in ihren Häusern eine optimale Arena zu schaffen, welche vom Künstler überaus anregend bespielt wurde. Und da Weihnachten vor der Tür lauert, zuletzt noch eine passende Beobachtung Ulrich Meisters: »Die Paketband-Rolle trotze dem Blick wie eine türlose Burg.«
Mehr Texte von Harald Krämer

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Ulrich Meister
11.10 - 12.12.2009

Museum zu Allerheiligen
8200 Schaffhausen, Baumgartenstrasse 6
Tel: +41 52 633 07 77, Fax: +41 52 633 07 88
Email: admin.allerheiligen@stsh.ch
http://www.allerheiligen.ch/
Öffnungszeiten: Di-So 11-17 h

Schweizerische Nationalbibliothek, Graphische Sammlung
3003 Bern, Hallwylstrasse 15
Tel: +41 (0)31 322 89 35, Fax: +41 (0)31 322 84 08
Email: info@nb.admin.ch
http://www.nb.admin.ch


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