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Sharing Spaces: Reality Check Johannesburg

Sonntagnachmittag in Downtown Johannesburg, auf der Suche nach dem brandneuen Kunstareal Arts on Main: So mancher Taxifahrer soll dieses Fahrtziel schon verweigert haben. Längst hat das GPS die Orientierung verloren und wie so oft scheint kein Straßenschild in Sicht. Alle Autotüren sind wie empfohlen von innen verriegelt. „Leisten Sie im Gewaltfall keinen Widerstand, fallen Sie nicht als Tourist auf“, so lauten die Spielregeln, auch für die Art Crowd. Selbst tagsüber ist höchste Vorsicht geboten und besonders von sonntäglichen Aufenthalten in Johannesburgs Innenstadt wird in den Sicherheitswarnungen europäischer Außenministerien nachdrücklich abgeraten. Kleiden Sie sich nicht auffällig!? Allein die (weiße) Hautfarbe genügt als unübersehbarer Leuchtmelder, flüchtete sich doch Südafrikas weiße Minderheit schon vor Jahrzehnten in Johannesburgs nördliche Randgebiete und überließ die Innenstadt einer verächtlichen Verwahrlosung. Nicht nur angesichts der präsenten Gewaltkriminalität, sondern vor allem aufgrund eines vorbelasteten Umgangs mit dem öffentlichen Raum wagen sich viele nicht mehr in das einstige Stadtzentrum - und erst recht keine (Kunst-)TouristInnen. Die einstige Goldminensiedlung ist auch heute noch kein Ort für schwache Nerven. Doch der Weg zu Arts on Main lohnt sich. Hier findet sich beispielsweise ein Projektraum der Goodman Gallery, der Kölner Galerist Ralf Seippel hat soeben seinen Johannesburger Galeriestandort dorthin verlegt, David Krut Publishing eröffnete eine Kunstbuchhandlung, das junge Fashion Label Black Coffee siedelte sich an und Künstler wie William Kentridge, Mikhael Subotzky oder Pierre Crocquet bezogen neue Studios. Am Rande des Central Business District gelegen, gruppiert sich inmitten eines ehemaligen Industriegebietes ein attraktives Konglomerat heterogener Baukörper rund um einen sonnenbeschienenen Innenhof. Hier eröffnet sich der Blick auf Zitronen- und Olivenbäume, die eine einladend friedvolle und zugleich irritierende Ruhe ausstrahlen. Für Ruhe und Ordnung soll auch der Sicherheitsdienst sorgen und zusätzlich wurde das umgebende Areal von der Stadtverwaltung mit Licht und Gehwegen versehen. Bauunternehmer Jonathan Liebmann will für sein, wie er es formuliert, inselartiges „Kunstjuwel“ mithilfe von Shuttlebussen eine verbesserte Erreichbarkeit aus den wohlhabenden Vororten herstellen, zumal die an Arts on Main angrenzenden Immobilien dem Investor eine Vielzahl weiterer Spekulationsobjekte bieten. Doch wer wird in dieser Gegend in Zukunft wohnen? Die aktuellen BewohnerInnen, die ärmeren Schichten, die derzeit mit ihren Märkten das Straßenbild gleichsam kulissenhaft beleben, müssen vermutlich einer wertsteigernden Reurbanisierung weichen, ebenso wie die KünstlerInnen, deren vielgepriesenes Innovationspotential Liebmann mit dem Kunstprekariat verwechselt haben mag, da sich diese künftig infolge des zu erwartenden Bobo-Getöses bezahlbare Atelierräume woanders suchen dürfen. Unberücksichtigt scheint weiters, dass zumindest im Moment für die meisten SüdafrikanerInnen ein innerstädtisches „City Loft“ womöglich noch keine Traumimmobilie darstellt, verbergen sich doch im zersplitterten, ethnisch segregierten Johannesburg die Topverdiener bis dato lieber hinter den hohen Mauern ihrer Themenparks, deren serielle Architektur ein pseudo-toskanisches Flair verströmen möchte. Dort sollen digitale Zugangskontrollen und patrouillienüberwachte Zonen das Maximum an (gefühlter) Sicherheit garantieren. Parallel zur neuen Angst konstituiert sich eine neue Freiheit: Fernab solcher Enklaven erobern sich gleichzeitig neue KleinunternehmerInnen Johannesburgs (ehemalige) Innenstadt und bringen ländliche Lebensformen in das Straßenbild, das nun zwischen urban und rural oszilliert. Die Auseinandersetzung mit den Diskrepanzen des sich wandelnden Stadtgefüges suchen die Programmplaner von GoetheonMain. Das Goethe-Institut Südafrika möchte seine im Mai 2009 eröffnete Dependance dezidiert nicht als elitäre Insel positionieren. Im Bewusstsein der Gentrifizierung des Standorts Arts on Main fokussiert der aktuelle inhaltliche Schwerpunkt die Transformation von Johannesburgs Innenstadt im Kontext Südafrikas fragmentierter wie heterogener Lebenswelten, jenseits der (vielbeschworenen) Titulierung Südafrikas als „Rainbow Nation“. Der interdisziplinäre Kunstraum soll das soziale Krisengefüge der Nachbarschaft berücksichtigen, indem bereits in die Eröffnung Iscathamiya Sänger aus der Nachbarschaft eingebunden wurden. Weitere Facetten des kritischen Engagement des Goethe Instituts verdeutlicht die Ausstellung „Domestic“, in der die Kuratorinnen Jacki Mcinnes und Melissa Mboweni zehn Künstlerinnen einluden, die in Südafrika so häufige und tendenziell ignorierte häusliche Gewalt an Frauen zu reflektieren und jenseits der Tabuisierung eine dialogische Sichtbarkeit zu entfalten. Der von GoetheonMain vorgegebene Rahmen erstreckt sich zudem nicht nur auf Südafrika, sondern bindet auch andere Länder des afrikanischen Kontinents ein, denn, so betont Programmleiter Peter Anders, „in der Innenstadt von Johannesburg sind es ja vor allem die Migranten aus Nigeria, Kamerun, Somalia, Mozambik und Simbabwe, die dort leben.“ Nicht nur die Außenseiterrolle innerafrikanischer MigrantInnen sondern ebenso die vermeintliche Randlage von Johannesburgs Innenstadt greift die Österreicherin Karin Reinprecht auf. Der Name ihres Projektraums, Right on the Rim, soll darüber hinaus auf die geographische und geopolitische Position Südafrikas anspielen. Emphatisch betont sie, ohne in diesem Kontext die vielzitierten binären Konstruktionen von Zentrum und Peripherie zu strapazieren, dass inmitten einer (vermeintlichen) Peripherie oder marginalisierter Zentren solche realen oder imaginierten Brüche und Abgründe die nötige Reibung hervorbringen könnten. Neben themenspezifischen Projekten und Lesungen ermöglicht Right on the Rim KünstlerInnen kurze Residencies und gibt Publikationen im Eigenverlag heraus. Indem Reinprecht ein produktives Risiko eingeht und ihre ersten Formate erprobt, möchte sie in ihrem Projektraum anbieten, was die Institutionen möglicherweise nicht leisten können oder wollen. „After analysing the visual arts sector in Southern Africa, it is evident that they are not functioning as successful industries“, überspitzt Marcus Neustetter die gegenwärtige Situation des Kunstbetriebs in Johannesburg. Zugleich fühlt sich der Künstler von den Potentialen, die sich in Johannesburgs Stadtraum bieten, geradezu überstimuliert. Gemeinsam mit Stephen Hobbs gründete er die Agentur „The Trinity Session“, die der Herausforderung fehlender institutioneller Strukturen mit Eigeninitiative begegnet. Das Duo sucht die Interaktion in einem öffentlichen Raum, in dem Inklusion und Exklusion noch so präsent sind, markiert dieser doch paradigmatisch die Unterdrückung der schwarzen Mehrheit, den langen Weg des Widerstands und nicht zuletzt die heutige ausufernde Gewaltkriminalität. Neben den eigenen künstlerischen Aktivitäten entwickelt das Produzentenduo Projekte für kommunale Kunstinitiativen, wie etwa in Hillbrow, Berea und Yeoville. Das ehemals prosperierende „Whites Only“-Gebiet gilt heute als „No-Go-Area par excellence“. Längst haben Drogenbosse und MigrantInnen die aufgegebenen Wohnblocks gekapert: „urban hijacking“. Diesem ruinösen Zustand des Zentrums stehen die abgesicherten Firmenkokons der Innenstadt gegenüber. Um der fortdauernden Ausbreitung solcher abgegrenzter Territorien entgegen zu wirken und um dem neu erwachten Interesse an der Innenstadt gerecht zu werden, beauftragte die Johannesburg Development Agency nicht nur eine Sanierung der Infrastruktur, sondern auch Kunst im öffentlichen Raum. Zwar darf etwa für interventionistische Performances kein Geld ausgegeben werden, so doch für Skulpturen. Mehrere Dutzend unterschiedlichster Objekte, welche die Dynamik von Hillbrow, Berea und Yeoville spiegeln sollen, konnten vor kurzem im Rahmen der zweiten Projektphase realisiert werden. Neben NachwuchskünstlerInnen beteiligten sich auch William Kentridge und Gerhard Marx. Ihre elf Meter hohe Skulptur The Fire Walker aus multiplen losen Stahlplatten fügt sich aus der Distanz zu einem monumentalen Eindruck zusammen, sobald der Hintergrund in der Form überdimensionaler weißer Papierfetzen den Umriss einer bruchstückhaften schwarzen Figur freigibt. Die Silhouette einer Frau, die ein glühendes Kohlebecken auf ihrem Kopf trägt, zeichnet ein typisches Bild von Johannesburgs Straßenleben: Frauen, die geröstete Maiskolben („mielies“) oder gegrillte Schafsköpfe („smileys“) verkaufen.
Mehr Texte von Claudia Marion Stemberger

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