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Accessoires et objets, témoignages de vies de femmes à Paris 1940 – 1944: Aus der Not eine Tugend

Wer unlängst anlässlich der Prêt-à-Porter Defilees in Paris weilte, bekam einiges an "neuer Tragbarkeit" und "vernünftigem Reduktionismus" vorgesetzt: "Harte" Zeiten erfordern Besonnenheit. Abseits der gleichwohl mondänen Laufstege zeigt derweil das Musée Galliera in Zusammenarbeit mit dem der Résistance gewidmeten Musée Jean Moulin eine Mode-Schau eigentümlich stiller Art. Wobei letztere nicht zuletzt bedingt, dass man den Kassandrarufen aus dem Kosmos ungebrochenen Überflusses etwas gleichmütiger gegenüber steht. Hier wird nämlich kompetent vorgeführt, wie die (selbst von den Nationalsozialisten) viel gerühmte "Eleganz der Pariserinnen" auch in den von Mangel und Not geprägten Kriegsjahren ansatzweise fortbestand. Die angesichts des Themas drohende Gefahr, in zynische Anmutung oder Pathos zu verfallen, wird durch das umfangreich beigestellte Textmaterial, sensibel ausgewählte Fallbeispiele und eine behutsame Exponatzusammenstellung mühelos umgangen. Die Verantwortlichen (Fabienne Falluel und Marie-Laure Gutton kuratierten für das Musée Galliera) sind taktvoll genug, um die Gratwanderung zwischen den Abgründen von Geschmacklosigkeit und moralisierendem Zeigefinger bravourös zu meistern. Zum Stichwort einer "Eleganz der Pariserinnen" ist ein im Rahmen der Ausstellung gezeigter Zusammenschnitt von Wochenschaumeldungen aus dem Jahr 1942 aufschlussreich. Um das Publikum über die Unbeliebtheit der Besatzer in Frankreich hinwegzutäuschen, werden in einer Einspielung Chic und Extravaganz der "wie immer erfinderischen" Pariserinnen als Indizien für eine Normalisierung der Umstände in der Stadt der Lichter herangezogen: "Die Mode verlangt ihre Rechte und beweist, dass die Frauenwelt sich mit der neuen Lage abgefunden hat", verlautbart eine blecherne Sprecherstimme. Der Topos der eleganten Großstädterin, so hoffen die Propagandabeauftragten offenbar, zieht immer. Ungeachtet solcher Schönredereien durch den Aggressor stellten sich die Frauen des Parnasse tatsächlich so gut als möglich auf die widrigen Bedingungen ein. Neue Handtaschenmodelle mit Stauraum für Taschenlampen und allerlei Utensilien waren im Paris der Jahre 1940 bis 1944 ebenso en vogue, wie Elsa Schiaparell voll des ästhetischen Optimismus ein von Pilotenuniformen inspiriertes Hauskleid entwarf, das auch in unbeheitzen Wohnungen ein wenig wärmte. Mobile Damen traten beherzt in die Pedale, und die Kluft der "Radlerin" (übrigens für Walter Benjamin "die verführerischste Gestalt des Weibes") stand Pate für manchen Entwurf. Die maßgeblichsten Akzente kamen, der Titel der Ausstellung deutet es an, aus dem Accessoirebereich – vielleicht die letzte Domäne, die trotz knapp werdender Ressourcen einiges an Gestaltungsfreiheit offen ließ. 1943 setzte denn auch die Frauenzeitschrift Marie Claire die elegante mit einer einfallsreichen Dame gleich ("Aujourd'hui, une femme ingénieuse est une femme élégante", schrieb man). Système D – in etwa: Durchwurstelei – war angesagt, in emsiger Heimarbeit ebenso wie den großen Modehäusern. Hier wie dort arbeitete man mit neuen Materialien: Erstmals kamen Kork und Holz für Schuhsohlen zum Einsatz, wurden Oberschuhe gestrickt oder gehäkelt, verwendete man grobe Sägespäne in kecken Coiffures oder zauberte Hüte aus Papier. Manches Detail, das später von der Modeavantgarde wieder aufgegriffen wurde, trat hier erstmals in Erscheinung. Auch die Weiterverwendung von Resten (Leder, Pelz etc.), die Zweckentfremdung (Möbelstoffe) oder das Umarbeiten von Bestehendem (auf die Fertigung von Handtaschen aus alten Kaschmirschals spezialisierte sich ab 1942 die Maison Duvelleroy) standen in den Kriegsjahren noch lange vor Auftauchen des Recyclingbegriffes auf der Tagesordnung. Interessant ist übrigens zu beobachten, wie mit den Besatzungsjahren und zunehmender Not die Entwürfe immer gewagter wurden. Zügellose Kreativität hatte Oberwasser, und das Gebot stiller Eleganz war vorübergehend ausgesetzt. Auch in Stein gemeißeltes Stilregelwerk lässt sich offenbar relativieren. Sich dies dank "Accessoires et objets" in Erinnerung zu rufen, und zugleich das stets ein wenig hysterisch funktionierende Modeuniversum aus etwas größerer Distanz zu betrachten, hat auch für den wohlwollenden Modekenner durchaus etwas Tröstliches.
Mehr Texte von Daniel Kalt

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Accessoires et objets, témoignages de vies de femmes à Paris 1940 – 1944
20.05 - 15.11.2009

Musée Galliera
75015 Paris, Jardin Atlantique – Gare Montparnasse
http://www.paris.fr/portail/Culture/Portal.lut?page_id=6923
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 h


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