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Miroslav Tichý: Aus den Archiven eines Wilderers

Selbstverständlich konfrontieren diese Bilder mit traditionell männlichen Konstruktionen des Blicks. Natürlich lässt sich deren Entstehungszusammenhang als voyeuristische Struktur beschreiben. Reflexe unserer massenmedial geprägten Wahrnehmung in Richtung „Paparazzi” oder „Stalking” würden dennoch keinen adäquaten Interpretationsrahmen für die Fotografien des Miroslav Tichý öffnen. Seit deren Aufarbeitung durch den Psychiater und Kunstexperten Roman Buxbaum und ihre Präsentation auf der Biennale von Sevilla durch Harald Szemann, 2004, erfahren sie eine Hochkonjunktur sondergleichen. Ankäufe und Ausstellungen wie durch das Kunsthaus Zürich, das MMK in Frankfurt oder das Centré Pompidou treiben den Boom weiter. Die Entstehung der Fotowerke, die wie zerfledderte Ausgrabungen aus dem schmuddeligen Archiv eines Besessenen wirken, erscheint abenteuerlich. Mehr als drei Jahrzehnte war der 1926 im mährischen Kijov geborene Künstler tagtäglich unterwegs auf der Jagd nach seinen Motiven. Mit selbst gebastelten Kameras lichtete er aus ungesehener Position heraus Frauen in häufig sexualisierten oder zumindest erotische Phantasien evozierenden Stellungen ab. Aus 100 bis 200 Negativen entwickelte er pro Tag vermutlich 50 bis 60 Abzüge. Die unüberblickbare Menge der Bilder, vor allem aber die Vergegenwärtigung der repressiven Verhältnisse in der realsozialistischen Tschechoslowakei führen in ein Labyrinth von Erklärungen für die Genese des rätselhaften Werks. Dem kanadischen Theoretiker Clint Burnham gemäß liegt der Schlüsselcode in der Dyade von Sex und Politik. Nach dem Besuch der Prager Kunstakademie 1946 bis 1948 opponierte Miroslav Tichý gegen die neue Kulturpolitik und deren Doktrin des Sozialistischen Realismus. Und gegen die Propaganda technischen Fortschritts. Eigensinnig wendete er sich seinen „Studien” des weiblichen Körpers zu, als an den Akademien das Aktzeichnen abgeschafft worden war. Mit primitiven Gerätschaften agierte er außerhalb der Paradigmen industrieller und ideologischer Aufrüstung. Nach der Präsenz einiger Werke im Rahmen von „City of Woman“ 2007 in der Galerie Fotohof in Salzburg bringt die Galerie Elisabeth & Klaus Thomann in Innsbruck die erste Tichý-Personale in Österreich. Die Bilder verstören. Auch deshalb, weil inszenierte Rahmung und fragile Materialität an die Fotografie als einstmals haptisch greifbares Medium erinnern. Sie konfrontieren mit dem insgesamt unsicheren Status des Mediums. Zugleich wird unsere Position als Voyeure entlarvt. Auf der Linie des Sexuellen und grundsätzlich. Als obszöner Drang, die Realität unentwegt in flottierende Bilder zu transformieren. Vergessen sollte nicht werden, dass Tichýs Werke auch selbstbewusste, manchmal frech wirkende Mädchen und Frauen zeigen, denen eines gemeinsam ist: Sie arbeiten nicht. Ob sich daraus etwas Rebellisches ableiten ließe, wäre zu diskutieren. Fest steht, dass Tichý innerhalb der tschechoslowakischen Szene zu malen begann und mit Kollegen 1954 die Gruppe „Brnenska Peta” (Brno Fünf) gründete. Spätestens mit Ankündigung seiner ersten Einzelausstellung war er Verfolgungen und Observationen ausgesetzt und wurde aller Wahrscheinlichkeit nach gefoltert. Wie das beklemmende Filmporträt „Worldstar“ von Nataa von Kopp aus dem Jahr 2007 dokumentiert, verwahrloste der heute 83-jährige inmitten seiner in feuchten Räumen gestapelten Fotos. Anstrengungen, an seinem späten Ruhm teil zu haben, unternimmt er kaum. Irritierend erscheint daher auch der Prozess des Übergangs von Tichýs Fotografien auf die Ebenen von Kunstbetrieb und Markt. Durch all diese Risse und Untiefen berührt das Werk von Miroslav Tichý zahlreiche Fragen grundlegend.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Miroslav Tichý
04.10 - 04.11.2009

Galerie Elisabeth & Klaus Thoman
6020 Innsbruck, Maria-Theresien Straße 34
Tel: +43-1-512 -57 57 85, Fax: +43-1-512 -57 57 85 13
Email: galerie@galeriethoman.com
http://www.galeriethoman.com
Öffnungszeiten: Mi-Fr 12-14 h


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