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Liegt Art Brut im Trend?

Gerade hat das Kunstforum in Wien die bemerkenswerte Ausstellung „Gugging in Wien“ geschlossen, als das Kunst Haus Wien die Ausstellung „Art Brut aus Japan“ eröffnet. Ebenfalls befasst sich das Museum für Gegenwartskunst in Admont mit dem Thema, in dem es Bilder aus der „Sammlung Prinzhorn“ zeigt. Liegt also „Art Brut“ im Trend der aktuellen künstlerischen Auseinandersetzung oder wird hier eine Szene ins Bewusstsein gehoben, die bisher eher im Verborgenen blühte? Kunst von „Geisteskranken“ gab es vermutlich schon immer, wie es Jean Clair in der Ausstellung „Melancholie“ aufzeigte, aber erst in den 1920er Jahren, als Walter Morgenthaler in Waldau Adolf Wölfli entdeckte, begann man sich mit dem Phänomen auseinanderzusetzen. Zunächst allerdings eher in den Kreisen der Psychiatrie. Als Hans Prinzhorn in Heidelberg dann nicht nur Kunst von Psychiatriepatienten sammelte, sondern sein Buch „Bildnerei der Geisteskranken“ herausgab, wurde diese Kunst, allerdings immer noch nur von einer kleinen Gruppe von Fachleuten, ernst genommen. Endgültig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit hob schließlich Jean Dubuffet in den späten 1940er Jahren die Werke von Geisteskranken und anderen Außenseitern der Gesellschaft. Gegipfelt hat sein Interesse 1971 in der Gründung der Collection de l´Art Brut in Lausanne. Das Benediktinerstift Admont hat sich seit der Renovierung des Klosters im Rahmen seines Museumsprogrammes auch der zeitgenössischen Kunst geöffnet. Die Ausstellung eines (kleinen!) Teiles der Sammlung Prinzhorn mit Arbeiten von Patienten aus verschiedener psychiatrischen Anstalten, zeigt neben bekannten Künstlern, wie August Natterer, Heinrich August Müller oder Else Blankenhorn, unbekannte oder sogar anonyme Künstler, die schon in den 1970er Jahren Harald Szeemann derartig begeisterten, dass er sich in Heidelberg wie in Zürich dafür einsetzte sie nicht mehr als „Kranke“, sondern als „Künstler“ zu sehen. Damit war er auch ganz auf der Linie von Jean Dubuffet, der den Begriff „Art Brut“ erfand, um auszudrücken, dass es sich hier um „rohe, unverfälschte, authentische“ Kunst von Autodidakten handelt. Seine Feststellung, „dass es keine Kunst von Geisteskranken gibt, wie es auch keine Kunst von Magenkranken oder Knieverletzten gibt“, ist seither geflügeltes Wort und gilt auch für die Künstlerinnen und Künstlern aus den Ateliers der Außenseiter, ob in Europa, Amerika oder Asien. Es ist noch nicht lange her, dass sich Asien und im besonderen Japan, mit seinen sehr traditionellen Kunstformen, der „Bildnerei“ der Außenseiter und Autodidakten öffnet und es war kein Kunstfachmann sondern Kengo Kitaoko, ein an Kunst interessierter Beamter, der sich der Kunst psychisch Kranker annahm und ihnen mit dem „Borderless Art Museum NO-MA“ in Shiga öffentliche Anerkennung ermöglichte. Die hohe Qualität dieses Museums und seiner Sammlung ist längst über die Grenzen Japans hinaus gedrungen und Lucienne Peiry, die Direktorin der Art Brut Sammlung in Lausanne, die wohl profundeste Kennerin der Art Brut-Szene weltweit, hat 15 Künstlerinnen und Künstler für ihr eigenes Haus und für die Ausstellung in Wien zu einer ersten Präsentation in Europa ausgewählt. 61 Arbeiten sind nun bis zum 18. Oktober im Kunsthaus Wien zu sehen und man kann eine Szene erleben, die bisher in Europa eher unbekannt war. Es sind Dinge des Alltags, der Fantasie, der Träume, der Sehnsüchte, die wie bei allen Art Brut Künstlern auch bei den Japanern den Inhalt ihrer Arbeiten bestimmen. Sie haben keinerlei künstlerische Ausbildung, schaffen völlig aus ihrer intuitiven Begabung, kraftvoll oder zart, realistisch oder abstrakt, aber ohne jegliche Anlehnung an Kunstgeschichte oder aktuelle Trends. Und doch spürt man die Unterschiede zwischen den europäischen und den japanischen Künstlern. Selbst wenn ihre Kunst hier wie dort weitgehend aus dem Unbewussten kommt, prägt doch Tradition und Gesellschaft Inhalt und Form der künstlerischen Aussage. Das Plakat mit den poetischen Figuren von Masao Obata ist etwas Besonderes, lockt hinein in die Ausstellung. Im Kunst Haus kann man dann Züge von Hidenori Motooka sehen, Schiffe von Satoshi Nishikawa, Phantasietiere von Mitsutero Ishino, oder Alltagsdinge, wie Vasen von Takashi Shujio, oder Zwiebeln von Toshiaki Yoshikawa.Yuju Tsuji zeichnet „meine Stadt, mit dem Herzen gesehen“ und Takanori Herai schreibt ein Tagebuch, das er zu hunderten Blättern bündelt. Es gibt skulpturale Arbeiten und Fotos von Eijiro Miyama, einem Künstler, der sich selbst als Kunstwerk kreiert. Das Interesse an Art Brut ist in den letzten Jahren stark gewachsen und so ist es höchst erfreulich, dass in ganz Österreich, aber besonders in Wien, das Bewusstsein für diese Außenseiterkunst immer größer wird. Gugging ist bahnbrechend gewesen, aber auch andere soziale und psychiatrische Einrichtungen haben inzwischen Ateliers und können außergewöhnliche künstlerische Ergebnisse vorweisen. So ist es auch nur logisch, dass im Oktober von der Caritas im Museumsquartier eine Art Brut-Messe veranstaltet wird, an der neben österreichischen auch schweizer und deutsche Ateliers beteiligt sein werden. Der Kreis wird größer, das Interesse steigt und die Art Brut-Künstlerinnen und Künstler sind längst selbstverständlicher Teil der aktuellen Kunstszene.
Mehr Texte von Angelica Bäumer

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