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Scylla? Charybdis?

Rückblick auf ein Wochenende. Wer in diesen Tagen von Galerienrundgängen reden will, befindet sich zwischen Scylla und Charybdis. Auf der einen Seite steht der Versuch, die Realität unter den Bedingungen der Rezession abzubilden, auf der anderen Seite die Betrachtung des Gegebenen und dessen Überschreitung. Was dabei die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, steht wohl dazwischen oder ist zwischen den Zeilen zu lesen. Ja, die Galerien in Berlin zeigten sich mal wieder in all ihrer Größe und Demut anlässlich des Gallery Weekends, und wer sich dort nicht zeigte, war selbst schuld. Allerdings feiert sich die Kunstmetropole zu diesem Ereignis auch immer selbst. Und gerade nach dem erfolgreichen Relaunch der Art Cologne darf Berlin sich nicht verbergen, auch wenn das glückliche Pfeifen sich auch ein bisschen wie ein Pfeifen im dunklen Wald anhörte. Wer wollte, konnte drei Tage nacheinander Kunst genießen. Diese Zeit brauchte man auch, um im Berliner Dickicht der ansässigen Galerien Überblick und Einblick zu gewinnen. Für jeden Tag bot sich ein Bezirk an, sei es Mitte, Kreuzberg oder Wedding. Und wer wollte, konnte schon direkt vom Hauptbahnhof in ein Galerienviertel rüberwechseln. Von den dortigen Hallen am Wasser hatten sich vor kurzem noch zwei Galerien verabschiedet, aber die leeren Räumen wurden schnell wieder gefüllt. Und sei es mit einem weiteren Ableger der Galerie Arndt&Partner unter dem Titel Gallery Hamburger Bahnhof. Vor Ort war ein neues Video von Julian Rosefeldt zu sehen, wenn man Zeit genug hatte, sich in die erste Reihe vorzudrängeln. Live konnte man dort dann auch den neuen Chef des Hamburger Bahnhofs Udo Kittelmann in Begleitung von Klaus Biesenbach sehen. Jüngsten Gerüchten zufolge wird im Hamburger Bahnhof von einem neuen Klima gesprochen, das manche als prekär beschreiben und andere als produktiv. Tatsächlich waren die Hallen am Wasser ein angenehmes Pflaster im wörtlichen Sinne: Die Sonne schien, auf dem Vorplatz gab es Café zu kaufen oder Kuchen, und wer wollte, konnte sich auch auf Gras niederlassen, geformt wie ein überdimensionierter Hut. Wer davon genug hatte, wechselte über die Straße zu Haunch of Venison mit einer enttäuschenden Präsentation oder zur Edition Block, die rechtzeitig zum Weekend eine Ausstellung mit den Multiples von Maria Eichhorn zeigte, deren Stringenz immer noch überzeugen konnte. Da blieb dann die erfolgreiche Suche nach einem Ausstellungsraum, der durch auffällige handgemalte Zettel auf sich aufmerksam machte, eine besondere Enttäuschung. So kann das Motto für den nächsten Ausstellungszyklus nur heißen: Folge keinen handgemalten Hinweisen. Dafür zeigte sich die Galerie Fruehsorge mit zwei zeichnerischen Positionen im doppelten Sinne auf der Höhe der Zeit. Zum einen hat die Galerie schon immer auf Zeichnung gesetzt, zum anderen waren Katrin Ströbel (geb. 1975 in Pforzheim) und Ben Kruisdijk (geb. 1981 in Zaandam) überzeugend. Und zum Dritten braucht man sich hier nicht die Frage zu stellen, ob die Zeichnung jetzt unter dem Label „Ästhetik der Rezession“ besondere Wertschätzung findet. Abseits der üblichen Wege zeigte die Galerie Neu eine neue Arbeit von Sean Snyder, die es wagte, den üblichen Diskurs aufzubrechen. Das man das auch anders handhaben kann, zeigte die Galerie Max Hetzler in der Zimmerstraße und im Quartier im Wedding. Mit André Butzer wird prekäre Malerei schick und bewegt sich damit auf dem Level von Yves Oppenheim. Wer das Prekariat nicht kennt, kann es sich mit den Gemälden von Butzer ins Haus holen. Dann schon lieber auf die intelligenten Zeichnungen von Linda McCue zurückgreifen, deren Sinn sich erst beim zweiten Hinsehen entschlüsselt wie in der Serie „Waiting I-VII“, die Bezug nimmt auf den Tod einer Frau im Wartezimmer einer amerikanischen Ambulanz. Gleich gegenüber eine beeindruckende Präsentation von Werken Hanne Darbovens bei Klosterfelde. Es scheint, als stärke das überbordende Angebot die Urteilskraft. Aber dafür wird die Sehkraft in Anspruch genommen, besonders bei der Präsentation von Ralf Ziervogel bei Arndt&Partner in der Zimmerstraße. Das nächste Mal nehmen wir eine Lupe mit, aber auch ohne Lupe ist das Werk sehenswert, weil es ebenso Literatur wie Zeichnung zu sein scheint: Zeichnung als zeitgenössisches Palimpsest. Das Quartier an der Auguststraße ist immer noch ein Anziehungspunkt mit durchaus pittoresken Einsichten. Bei Kuckei und Kuckei sollte man in das Untergeschoß gucken, um einerseits neue Fotoarbeiten von Guy Tillim zu sehen, aber auch die realistischen Zeichnungen von Joe Biel oder die Fotoinszenierungen von Zander Blom. Den Katalog zum Werk muss man schon suchen, aber es lohnt sich. Am Sonntag zum Abschied geht es zum Straußberger Platz. Da zeigen Galerien Galerien unter dem Titel „7x2“, und auch ohne dieses Angebot würde man wohl auch durch diese Ikone der DDR-Architektur, das ehemalige Haus des Kindes, wandeln wollen. Aber der Sammler Axel Haubrok hat in das Haus eingeladen, und die Chancen wurden genutzt, wobei das Ergebnis nur zum Teil überzeugend war. Der Sammler selbst teilt auf seiner Internet-Seite mit: „Bedauerlicherweise ist am Sonntag Nachmittag ein Kunstwerk aus der aktuellen Ausstellung verschwunden. Es handelt sich um einen Gaffel Bierdeckel, beschriftet mit ,I love you, Damian‘. Wir wären sehr erleichtert, wenn er sich wieder einfindet.“ Zumindest konnte man mal die Redaktionsräume des Zentralblatts der künstlerischen Intelligenz, bekannt unter dem Namen „Texte zur Kunst“, besichtigen. Am überzeugendsten war die Präsentation von Croy Nielsen mit einer Künstlergruppe aus dem baltischen Raum. Wer wollte, konnte danach noch bei Capitain Petzel nostalgisch werden angesichts der Werke von Kippenberger. Aber das ist nun wirklich Vergangenheit. Auf der Karl-Marx-Allee aber ist man der Zukunft zugewandt, jedenfalls der des nächsten Gallery Weekends.
Mehr Texte von Thomas Wulffen †

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