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Kino kondensiert

„Wie soll ich Ihnen etwas erklären, wenn schon den Kindern in der Schule eine reaktionäre Kunstauffassung eingebläut wird, und später von den staatlichen Institutionen. Fernsehen, Presse und eure Kulturfunktionäre sind so faschistoid-reaktionär, wie Sie wahrscheinlich geworden sind.“ Diese und noch weitere Publikumsbeschimpfungen richtet der Wiener Filmemacher und -publizist Hans Scheugl (geb. 1940) im Jahre 1969 in eine ORF-Kamera und wirft dabei gelegentlich mit Erdbrocken nach ihr. Einige Dekaden später lässt sich dieses Zeitdokument nur schwerlich ohne ein Schmunzeln betrachten; lauscht man jedoch auch der Moderation von „Apropos Film“, jener Sendung, in der ein Beitrag zur damaligen Wiener Underground-Szene lief, so offenbaren sich just die abfällige Banalisierung und das erschreckende Unverständnis, für die weiland mit leidenschaftlichem Einsatz nach einem Gegengift gesucht wurde. Der ehemalige Filmarchivar hatte im Jahr zuvor gemeinsam mit nunmehrigen Größen wie Valie Export, Kurt Kren, Ernst Schmidt Jr. oder Peter Weibel die „Austria Filmmakers Cooperative“ gegründet und machte sich zu dieser Zeit v.a. durch Aktionen bemerkbar, die das Dispositiv Kino auf radikale Weise thematisierten und zugleich die Materialität des Films in den Vordergrund stellten: „zzz hamburg special“ etwa reduziert das Filmbild auf einen projizierten Faden, bei „Eroticon Sublim“ hingegen stellt die (monochrome) Farbe jene filmische Essenz dar, auf die der Titel bewusst irreführend anspielt. Der Autor von „Sexualität und Neurose im Film“ (ebenso nennenswert sind natürlich die mit Ernst Schmidt Jr. verfasste zweibändige „Subgeschichte des Films“, die Monografie über Kurt Kren oder auch das wunderbare Buch „Showfreaks and Monster“) verhandelt freilich auch in den eigenen Werken diesen dem filmischen Medium so nahe stehenden Themenkomplex, jedoch weitaus komplexer: In „Safety Film“ und „Sugar Daddies“ sind es weniger Verführung und Erotik, als vielmehr die bildlichen wie sprachlichen Mechanismen (homosexueller) Pornografie, die Scheugl vorführt und zugleich lustvoll mit Kirchenglocken oder Jesusbildern konfrontiert. Die gewohnt anspruchsvolle Index-Kompilation versammelt nun nicht nur eine Vielzahl seiner Filmwerke (ausschließlich 16mm) auf DVD, sondern ermöglicht dabei zudem einige aufschlussreiche Gegenüberstellungen wie etwa von „Wien 17, Schumanngasse“ (1967) und „(Calcutta) GO“ (1985): Zwei sowohl visuell, als auch akustisch sehr unterschiedlichen Resultaten liegt eine fast identische Ausgangsidee zugrunde, die freilich nicht unwesentlich durch die jeweiligen kulturellen Gegebenheiten ihre eigene Färbung erhält; beide Male werden wir Zeugen einer Autofahrt, die von einer ruckelnden, aber sonst starr bleibenden Kamera aufgezeichnet wird, wodurch sich ein scheinbar unbefangener Blick auf die wie zufällig ins Bild geratenden Alltäglichkeiten einstellt. Eine andere formale Strenge findet in „Der Ort der Zeit“ (1985) ihre Anwendung: Gedreht am Gelände des Alberner Hafens, suggerieren die rhythmisch, teils geradezu staccatoartig geschnittenen Bilderreihen, bei der die Kamera selbst abermals unbewegt verharrt, die verdichtete Kontinuität eines Tagesablaufs. Angelehnt an James Joyces „Finnegans Wake“, dominiert hier die Aufmerksamkeit für visuelle wie akustische Finessen gegenüber nur vagen und kryptischen Handlungsfragmenten. Wie in den meisten Werken Scheugls sind es auch hier verschiedentlich durchdeklinierte Raumgefüge, die erst vermittels kinematografischer Übersetzungsleistung unsere Wahrnehmung herauszufordern imstande sind. So gesehen kann Hernals genauso aufregend sein wie Indien.
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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