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In den Zonen des Transfers

Aktuelle Dimensionen des Ethischen im Schnittfeld von Kunst und Wissenschaft avisierte eine Konferenz an der Angewandten in Wien Die Potentiale multipler Identitätskonzepte und somit auch Reflexionsstrategien zum Transfer zwischen Kunst und Wissenschaft, fokussierte die Konferenz „New Realities: Being Syncretic“ an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Es ging um jenes virulente Feld, das zwischen den Koordinaten von zeitgenössischer Kunst und interaktiven Medientechnologien sowie biologischen und epistemologischen Fragen menschlicher Wahrnehmung situiert ist. Dahinter steht das fliegende „Planetary Collegium“, das seit 1997 als Plattform mit dem Label „Consciousness Reframed“ um die Welt tourt und bereits an Universitäten in Brasilien, China oder Australien einen Landeplatz erhielt. Gründungspräsident des um ethische Fragen zentrierten Kollegs ist Roy Ascott, britischer Pioneer der Medienkunst und Kommunikationstheorie, der bis in die 1990er Jahre eine Professur an der Angewandten innehatte. Dass etwas pointiert von der neunten „Inkarnation“ der 1997 initiierten Konferenz die Rede war, bezog sich auf das gesamte Design der Veranstaltung. Unter den rund 90 Presenters befanden sich – neben Stars wie der Kunsthistorikerin Barbara Stafford (Chicago), die Verbindungen zwischen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Konzepten der bildenden Kunst seit der Aufklärung analysiert – zahlreiche PhD KandidatInnen. Das reduzierte die oft langweilige Berechenbarkeit des Outputs und steigerte Leistungsbereitschaft und Positionierungswillen. Währenddessen war das Publikum aufgefordert, zwischen den Präsentationen hin und her zupendeln, da bis zu drei Vorträge gleichzeitig liefen. Der Begriff „Inkarnation“ konnotierte außerdem mit einer Vielzahl von Konzepten, die auf Kalifornien als Topos für Bewusstseinserweiterung und Digital-Culture verweisen, aber auch auf die Metropolen Brasiliens, wo höchst unterschiedliche Wissensformen und kulturelle Hintergründe miteinander verschnitten werden. Alternativkonzepte gegen zumeist in Technokratie mündendes Fortschritts-Denken standen dementsprechend im Vordergrund; und zwar mit gelegentlichen Anspielungen auf den „Anti-Ödipus“ von Gilles Deleuze und Felix Guattari. Im Subtext bildete dessen Idee von tentakelhaften Andockmanövern in Form libidinöser, diskursiver oder auch technischer Produktionsbeziehungen eine der Grundströmungen in den avisierten „New Realities“. So untersuchte Clarissa Ribeiro Pereira de Almeida (Sao Paulo), welche Geografien sich aus dem ineinander von physischen und virtuellen Realitäten ableiten lassen. Andreas Leo Findeisen (Wien) konzentriert sich auf soziale und identitätspolitische Aspekte von Zugehörigkeit, im Feld von User-Communities. Eine abenteuerliche, aber naheliegende Argumentation für ein zwischen den Welten changierendes Ich brachte Roy Ascott selbst. Unter anderem führte er die distanzierte Lebensweise des portugiesischen Existenzialisten Fernando Pessoa als Beispiel für ein „ethisches Flanieren“ an. Ritualformen der Kuikoro Gesellschaft in Xingu, Mato Grosso wiederum demonstrierten – laut Roy Ascott – den Versuch, durch Spiel- und Performanceformen die nicht für die Öffentlichkeit gedacht seien den spirituellen Kontakt mit der Erde zu vertiefen. Visuellen Repräsentationen eines globalen Bewusstseins in der Kunst wiederum suchte Derrick de Kerckhove (dzt. Neapel); etwa in Erdfotografien von der ersten Sputnik-Rakete (1957). Oder in den Luftaufnahmen von Landschaften unseres Planeten von Yann Arthus-Bertrand. Oder in den Interventionen im Inneren des eigenen Körpers durch den australischen Künstler Stellarc. Insgesamt auffallend war, dass eine Kritik an der Ökonomie im Rahmen dieser Konferenz, die sich dezidiert ethischen Fragen verschrieb, ziemlich sparsam ausfiel. Die Notwendigkeit, diese auszusprechen, deuteten der Rektor der Angewandten, Gerald Bast, und Peter Weibel in einer Podiumsdiskussion an. Dennoch erscheint es plausibel, in einem internen Diskurs, Fragen der Ethik auch in Hinblick auf die eigene Praxis aufzuwerfen, ohne gleich den militärisch-industriellen Komplex dafür verantwortlich zu machen. Beobachten ließ sich weiters, dass solche Konferenzen ihren eigenen Radius von Öffentlichkeit nur mit größter Anstrengung zu überschreiten vermögen. Umso mehr ist das Engagement der Universität, des Scientific Committees und der Beteiligten EditorInnen und OrganisatorInnen herauszustreichen. Unter dem Strich bleibt, dass der kritische Diskurs im Schnittfeld von Kunst und Wissenschaft immer noch zu schmal geführt wird; während relevante Wiener Institutionen in genau diesem Feld in existentielle Schwierigkeiten gefördert wurden. „New Realities: Being Syncretic“ bedeutet außerdem eine punktuelle Akzentverschiebung zwischen Linz und Wien. Im Gegensatz zur eingeschlafenen Linzer ars electronica, wo mit großem Pathos, jene Symposiums-Texte vorgetragen werden, die längst als Hochglanzpublikation vorliegen, waren die Präsentationen an der Angewandten von der Lust zur Positionierung getragen. Während dort das immergleiche Event-Menü in stets neuer Verpackung in den jährlichen Veranstaltungszirkus übergeführt wird, überraschte hier ein Mix aus experimentellen und visionären Werkstattberichten, deren zeitweilige Rohform das Weiterdenken erzwingt. cr9.dieangewandte.at
Mehr Texte von Roland Schöny

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