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5. Berlin Biennale: Im Spannungsfeld der Geschichte

Wieder ist die Diskurs-Maschine Berlin Biennale erfolgreich angeworfen. Souverän breiten sich ihre feingliedrigen Stränge aus. Weit abseits ihres Ursprungs im Szeneviertel von Mitte befinden sich diesmal Stützpunkte des engagierten Unternehmens. Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie und der neoklassizistisch moderne Schinkelpavillon auf ehemaligem DDR-Terrain ein paar Gehminuten von Unter den Linden entfernt bilden topografische Pole mit programmatischem Charakter. Von hier aus eröffnen sich Blicke in die Echokammern der Geschichte der Moderne. Dass die KuratorInnen Adam Szymczyk und Elena Filipovic auch noch eine Stadtbrache zwischen Kreuzberg und Mitte, wo einst die Mauer das Zentrum in zwei Teile zerschnitt, für einen Skulpturengarten einbeziehen, verweist zielgerichtet auf den plausiblen Versuch, Orte und Themen der historisch belasteten Stadt miteinander zu verzahnen. Umso mehr überrascht die Behauptung der beiden, sie hätten weder Interesse an einem übergreifenden Motto, noch an den üblichen Berlin Klischees gehabt, reflektiert doch gerade diese Biennale Potentiale und Brüche der Moderne differenzierter als dies vergangenen Sommer in Kassel versucht wurde. Zudem steht die Nationalgalerie als Ikone der Architekturgeschichte unmissverständlich für diese symbolträchtige Schwerpunktsetzung. Selbst Paola Pivi kommt in der schwierig zu bespielenden gläsernen Halle nicht darum herum, es in Form einer spiegelnden, glitzernden Installation mit der Raumgeometrie aufzunehmen, während Daniel Knorr das Gebäude außen mit farbigen Fahnen derart behängt hat, als hätte sich ein Multi-Kulti Kongress eingemietet. In Wahrheit handelt es sich um die abstrahierten Embleme der 58 in Berlin ansässigen Studenten-Verbindungen. Ephemer erhebt sich vor dem Haupteingang Piotr Uklanskis „Untitled Fist“ als Variation von jenem allseits geläufigem Kampfsymbol, das von der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts bis hin zum Black Power Movement oder der Hausbesetzerbewegung in Berlin selbst stetig seine Kontexte wechselte. Mit Ironie unterlegte Kritik, gesellschaftspolitische Reflexion und eine fragile Ästhetik bilden somit die Hauptkoordinaten. Dogmatische Schwere jedoch umschiffen Szymczyk und Filipovic wendig, indem sie beispielsweise den in Amsterdam lebenden aktionistischen Türken Ahmed Ögut einluden. Wie schon per Video auf der Istanbul Biennale gesehen, verwandelt Ögut parkende Autos durch geschickte Beklebungen in Polizeifahrzeuge um staatliche Kontrolle - speziell in der Türkei - zu thematisieren. Mit einer Intervention in der Haupthalle der Biennale Gründungsinstitution Kunstwerke Berlin verlegt Ögut eine für die gegenwärtigen Türkei typische Form administrativer Machtdemonstration in den Kunstraum, indem er den 400m2 umfassenden Boden ganz trivial asphaltieren ließ. Speziell in ländlichen Gebieten führt eine solche Erneuerungsmaßnahme zu einer rigiden Homogenisierung öffentlicher Räume. Selbstverständlich erhält die gesamte Halle durch diese formal an den amerikanischen Minimalismus erinnernde Geste auch eine neue visuelle Qualität. In unmittelbarer Nähe aber gleich wieder einer dieser auflockernden Tupfer: In Form einer Unzahl von Stadtmotiven des norwegischen Zeichners Pushwagner. In dessen zwischen 1969 und 1975 entstandenen Bilderroman „Soft City“ wächst die von Mies van der Rohe noch positiv gedachte Moderne aus in eine beklemmende Welt aus funktionalistischen Hochhäusern und Verkehrsstaus. Das Gegenstück zu diesen Horrorszenarien findet sich im Dachgeschoß der Kunstwerke, wo der in London ansässige Tris Vonna-Michell in einer vielteiligen schwarz-weiß Dia-Installation den Niedergang von Motor-City Detroit als düsteres Szenario der Peripherien mit RoboCop Soundfragmenten visualisiert. Hier wird evident wie egalitär das Verhältnis des Kapitalismus zum Produktionsraum Stadt wird, sobald sich die ökonomischen Bedingungen ändern. Allerdings würde die medial enorm gepushte Berlin Biennale in einem schwarzen Loch der Dystopien versinken, wenn solche Endzeitszenarien nicht durch Leichtigkeit, Humor und manchmal auch so etwas wie bewusst thematisierte Ratlosigkeit konterkariert wären. Dass der Schinkel-Pavillon während der Biennale mehrmals neu bespielt wird, setzt einen liebenswerten Akzent. Bereits vor der Eröffnungsparty und den omnipräsent annoncierten Nacht-Events der Biennale präsentierte die Berliner Künstlerin Nairy Baghramian verspielte Werke der 98 Jahre alten Schweizer Designerin Jeannette Laverriere. Kuratorisch mutig und den verfahrenen Diskurs um Kunst im öffentlichen Raum anreichernd ist der Skulpturenpark im Niemandsland zwischen öder Neubaulandschaft und Abrisszone, wo KünstlerInnen Merkmale der massiven Transformation Berlins seit den späten 1980er Jahren aufgreifen. In einer hochkomplexen Arbeit, die flüchtig betrachtet an eine simple Bautafel erinnert, greift etwa die argentinische Künstlerin Luciana Lamothe die verschiedenen gesellschaftspolitischen Implikationen rund um den asbestverseuchten Palast der Republik auf. Spätestens hier zeigt sich, dass Berlin - neben Istanbul - im internationalen Biennale Zirkus derzeit zu den interessantesten Standorten zählt. Punktuell gelingt es sogar, die bildende Kunst in ein Leitmedium gegenwärtiger Urbanismus-Debatten zu überführen. Dass das Gesamtkonzept gelegentlich ausfranst und die Wahl einzelner Werke beliebig, weil austauschbar wirkt, liegt im Wesen eines derart unmöglichen Unterfangens wie einer Biennale. Als Erinnerungsmaschine, die sich wohltuend vom stets hysterischen Geschrei um schon wieder einmal irgendwo entdeckte junge Szenen abhebt, bleibt sie faszinierend, weil sie sich letztlich doch über die Grenzen einer sich selbst bespiegelnden Hauptstadt hinwegsetzt, wenn sie etwa auch jugoslawische Architekturexperimente der Tito Zeit (David Maljkovic), das Verschwinden des alten Seoul (Sung Hwan Kim) oder auch die Zeit der psychedilischen Experimentalfilme (Michel Auder) aufgreift. Den beiden KuratorInnen Adam Szymczyk und Elena Filipovic und vor allem den 50 künstlerischen Positionen, begleitet vom umfangreichen Nacht-Programm, bleibt zu wünschen, dass diese Biennale über InsiderInnen-Kreise hinaus genauso intensiv diskutiert wird, wie in den Medien promotet.
Mehr Texte von Roland Schöny

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5. Berlin Biennale
05.04 - 15.06.2008

Berlin Biennale
Berlin,
http://www.berlinbiennale.de


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