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Flexibilität, Unternehmergeist und Improvisation

Berlin! Berghain! Boros! Der Dreiklang beherrscht die Berlin Art Week trotz Gallery Weekend, der Positions-Messen und vieler weiterer Events und Ausstellungen. Der bekannte Sammler hat es geschafft, in dem Tempel der Clubkultur eine monumentale Ausstellung mit dem Label "Studio Berlin“ aufzuziehen, mit fast allem, was an Berliner Künstlern Rang und Namen hat und dafür eine Viertelmillion Euro aus dem Senatshaushalt einzusammeln. Und mit den berghainüblichen Zutaten: endlos Schlangestehen, keine Fotos. Einerseits will natürlich jeder einmal die Heiligen Hallen bei Tag und in voller Pracht sehen, die teilweise monumentale Kunst natürlich auch, und in der internationalen Presse macht sich so ein Event sowieso gut. In der Stadt trifft diese Aktion jedoch nicht nur auf Zustimmung. Denn andererseits erhalten dort weitgehend nur wieder die Künstler eine Plattform, die ohnehin schon sehr präsent sind, und warum Steuergeld ausgerechnet einem Großsammler zu weiterer PR verhelfen soll, ist auch nicht leicht vermittelbar. Das wäre alles nicht so schlimm, schließlich kommen die Eintrittsgelder von immerhin 20 Euro pro Person dem Berghain zugute, bis es seinen normalen Betrieb wiederaufnehmen kann. Doch die treibende Kraft, die Berlins Kunstszene überhaupt erst aufgebaut hat über die letzten Jahrzehnte, geht nicht nur hier leer aus, sondern wird von der Politik gerade in Berlin traditionell eher als Gegner denn als Partner gesehen: die Galerien.

Ebenfalls immer für eine Schlagzeile gut, aber eigenfinanziert sind die Initiativen von Galerist Johann König. Die „Messe in St. Agnes“ scheint für ihn ein Erfolgsmodell zu sein. Bereits zum zweiten Mal findet die Veranstaltung statt. Was zunächst aus der Not geboren schien, um die ausgefallene Art Basel im Juni zu kompensieren, findet jetzt zur Berlin Art Week eine Fortsetzung und Verstetigung. Das Event ist keine Kunstmesse im traditionellen Sinn, sondern eine Verkaufsausstellung, zu der Galerist Johann König andere Galerien, Sammler und Unternehmenssammlungen eingeladen hat.  Die Schau mixt atelierfrische Kunst mit Handelsware wie eine traditionelle Kunstmesse.  Auch die Fülle des Angebots geht weit über den Umfang einer normalen Galerieausstellung hinaus. Rund 320 Kunstwerke von 200 Künstlern sind zu sehen und käuflich zu erwerben. Neben zumeist aktuellen Arbeiten von fast allen der rund 40 Künstler, die die Galerie vertritt, ist ein weit gefächertes Angebot zu sehen. Die Preisspanne reicht von 750 Euro für eine Auflagengrafik des 1976 verstorbenen schwedischen Pop Art-Künstlers Öyvind Fahlström bis 750.000 Euro für ein großformatiges Gemälde von Georg Baselitz.

Die einzige „richtige“ Kunstmesse Berlins ist nach dem Ableben der Art Berlin (früher abc) die Positions in zwei Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof. In dieser Ausgabe gesellen sich noch die Paper Positions und die in Basel ausgefallene photo Basel dazu. Co-Direktor Heinrich Carstens ist sich sicher: "Berlin ist nach wie vor ein interessanter Standort für eine Kunstmesse. Und das bewahrheitet sich auch." Vor allem die schier endlosen Schlangen vor dem Eingang und zwei weiteren Schleusen inklusive Temperaturmessung scheinen ihn zu bestätigen, sind in dieser Form allerdings den Corona-Auflagen geschuldet, die strikt befolgt werden und maximal 750 Personen gleichzeitig in den Hallen zulassen.

Einmal in der Halle angelangt, überwiegt bei Allen die Freude, endlich wieder auf eine Messe gehen zu können. Patrick Heide aus London ist erstmals dabei. Da die großen internationalen Messen alle ausfallen und in London nach seinen Worten gerade wenig passiert, konzentriert er sich vorerst auf Regionalmessen wie in Berlin oder die Munich Highlights. Thole Rotermund aus Hamburg ist überrascht, dass seine Klassische Moderne so guten Anklang in dem zeitgenössisch geprägten Umfeld findet.

Das ursprünglichste Berlin-Feeling re-enacten jedoch sieben Galerien, die sich zusammengetan haben, um unter dem Titel K60 die Industriebrache Wilhelmhallen zu bespielen. Der Ort bietet alles, was Berlin für die Kunstszene einst so attraktiv gemacht hat: den leicht ruinösen Charme alter Industriehallen, das Gefühl an einer exklusiven Entdeckungstour teilzunehmen und vor allem viel Platz. Allerdings muss man dafür mittlerweile sehr weit in den Berliner Norden fahren, im ehemaligen Westen noch dazu, der noch vor kurzem als gnadenlos uncool galt.

Auch bei den Preisen kann Wehmut aufkommen. Schon für 850 Euro ist etwa Petra Lottjes kleinfoematige scherenschnittartige Collage "it works 2021" zu haben - inklusive Rahmen. Die Initiative "Räume XS meets K60" ist jedoch nicht Teil des offiziellen Gallery Weekends, sondern so wie die auf dem Areal versprengten Ateliers halt eben auch noch da.

Bei den offiziellen Teilnehmern BQ, Chert-Lüdde, Klemm's, Kraupa-Tuskany Zeidler, Levy, Plan B und PSM gibt es allerdings teilweise monumentale Multimedia-Installationen von Kriwet (BQ), Navid Nuur (Plan B) und Guan Xiao (KraupaTuskany Zeidler) zu sehen. Möglich gemacht hat die auf mehreren Ebenen einer riesigen ausstellungsgerecht ausgebauten Fabrikhalle der kunstaffine Unternehmer Philipp Solf, der die gesamte Infrastruktur kostenfrei zur Verfügung stellt. Das erleichtert großzügige Präsentationen und entspannt die Galeristen. So locker war Kunst in Berlin lange nicht mehr.

Und dann ist da noch das Gallery Weekend Berlin selbst. Ohne die übliche Exklusiv-Sause mit riesigem Dinner und transatlantischen Milliardären und eingebettet in die Berlin Art Week ist die 16. Ausgabe nicht mehr so dominant in der Stadt. Zumal die Szene sich immer weiter von den ehemaligen Hot Spots in der Stadt wegbewegt. Société ist gerade von der Gegend um die rauhe Kurfürstenstraße in das gediegene Ku'damm-Umfeld gezogen, wo die großformatigen Grateful Dead-Bärengemälde der 1980 geborenen Tina Braegger auch gleich ganz anders wirken. Das Galerienhaus in der Lindenstraße hat viele seiner alten Mieter verloren. Neu dabei sind KOW, die aus ihren Ausstellungen mit Barbara Hammer und Tobias Zielony schon früh fünf Videos verkauft haben. Der Markt, selbst für als schwierig zu vermittelnde Formate, funktioniert in Berlin vielleicht doch gar nicht so schlecht, allen Unkenrufen und dem Ausbleiben US-Sammler zum Trotz. Den Eindruck bestätigt André Buchmann, der betont, wie wichtig es sei, auf die Krise mit Flexibilität zu reagieren. So hat er die für den ursprünglichen Termin geplante Ausstellung von Bettina Pousttchi in seine kleinere Spielstätte verlegt, für den die Künstlerin für sie ungewohnt kleine Skultpuren geschaffen hat. Den größeren Raum hat – wie schon lange geplant – Clare Woods für ihre Gemälde.

Mit Flexibilität, Unternehmergeist und Improvisation versuchen alle Beteiligten, die Kunstszene wieder in Gang zu bringen, und das Publikum nimmt es dankbar auf.

Mehr Texte von Stefan Kobel

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